Nachlassverwalter Hans Jürgen Heinicke: Vorformen der Müllhalde
Hans Jürgen Heinicke ist Fachmann für Wohnungsauflösungen und Nachlassverwertungen. Die Schätzung von Antiquitäten hat er sich selbst beigebracht.
Hans Jürgen Heinicke ist gelernter Betriebsschlosser und Selfemademan in Fragen der Zuordnung und Schätzung von Antiquitäten. Seit über 30 Jahren macht er Wohnungsauflösungen und Nachlassverwertung in Berlin und Brandenburg und befasst sich mit dem An- und Verkauf von Antiquitäten, Büchern und Trödel.
Er wurde 1951 in Görlitz geboren, besuchte dort bis zum Alter von 17 Jahren die Schule und machte eine Lehre als Betriebsschlosser im VEB Braunkohlekombinat Lauchhammer. Anschließend 18 Monate Wehrdienst bei der NVA in Eggesin. Danach holte er in der Abendschule sein Abitur nach. Schlechte Führung bei der Armee und lange Haare schränkten jedoch die Chancen für Studium und beruflichen Aufstieg stark ein. Arbeit u. a. als Ausgrabungstechniker beim Brandenburgischen Museum für Ur- und Frühgeschichte und als Filmausstatter bei der DEFA in Potsdam Babelsberg.
Mit Beginn der Nostalgiewelle in der DDR begann er alte Möbel und Antiquitäten zu sammeln, zuerst für den persönlichen Gebrauch, dann auch zum Tausch und Verkauf. Im September 1979 Verhaftung im Rahmen einer landesweiten Aktion gegen Leute, die etwas mit Antiquitäten zu tun hatten. Beschlagnahmung seiner Sammlung für die staatliche Kunst- und Antiquitäten GmbH des Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski. Inhaftierung wegen Steuerhinterziehung und Verhängung einer Steuernachzahlungsvorschreibung von 45.000 DDR-Mark. Nach Verbüßung einer zehnmonatigen Haft im Stasi-Untersuchungsgefängnis Lindenstraße in Potsdam und jahrelanger Abzahlung der auferlegten Steuerschuld wird seinem Ausreiseantrag stattgegeben. 1987 Ausreise nach Westberlin, wo er seither lebt.
Was aus Besitztümern und ganzen Behausungen unvermutet werden kann, haben die Fluten des Tsunami in Japan gezeigt, die alles strudelnd mit sich rissen und zermalmten. Aber auch in ungefährdeten Gegenden wie unseren kann sich, was gestern noch lieb und teuer war, in unbrauchbares Gerümpel verwandeln, das zu Kubikmeterpreisen entsorgt werden muss. Ein Umzug ins Altersheim oder der Tod des Besitzers genügen oft, um der Bedeutung seiner Habe ein jähes Ende zu bereiten.
Mit den wertvollen und vor allem mit den wertlosen Hinterlassenschaften aus Haus und Wohnung befasst sich Herr Heinicke. Wir treffen ihn in der Potsdamer Altstadt, in einem der zweieinhalbstöckigen, aneinander gebauten Bürgerhäuser aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dort betreibt seine Frau ein kleines Antiquitätengeschäft.
Er öffnet die Läden, und das Licht fällt auf die Vitrinen voller Schmuck, auf Ölbilder, Kaminuhren, Putti, Porzellanfiguren, auf die Büste einer holzgeschnitzten Appolonia, Schutzpatronin der Zahnärzte, die eine Zange mit blutigem Backenzahn in der Hand hält. All diese Objekte vergangener Begierden warten auf neue Käufer. Aber heute ist Montag und Ruhetag, wir können uns also ungestört unterhalten.
Herr Heinicke erzählt: "Als die Mauer gefallen war, konnte ich wieder auf meine alten Kontakte zurückgreifen. Es gab keine Probleme, Ware reinzubekommen. Ich hatte ab Mitte der Neunziger den Kutschstall von Friedrich II. hier in Potsdam am Neuen Markt gemietet. Ein schönes Gebäude mit 800 Quadratmeter Fläche. Da haben wir einen Antikmarkt veranstaltet, aber nur Sonnabend/Sonntag. In der Woche haben wir die Sachen rangeschafft, und ich habe mich um die Restaurierung gekümmert. Das ging so sechs Jahre, bis 2001, dann wurde das Gebäude saniert. Es kam u. a. das Museum für Preußisch-Brandenburgische Geschichte rein." (In dem übrigens gerade eine Ausstellung über die wunderbare, 1892 geborene jüdische Tänzerin, Schauspielerin und Kabarettistin Valeska Gert gezeigt wird.)
Wie die Leute gelebt haben
"Danach hatten wir erst einen Laden in der Lindenstraße, dann diesen hier. Ich bin ja kein Mensch, der in einem Geschäft sitzen kann, ich sterbe in so einem Laden. Damals im Kutschstall haben uns die Leute Sachen angeboten aus ihren Haushalten, so hat sich das eigentlich entwickelt, dass wir dann gleich die komplette Wohnungsräumung gemacht haben. Ich habe ein großes Lager hier am Stadtrand von Potsdam. Aber inzwischen will ich es nicht mehr haben, bin dabei, es aufzulösen.
Es kostet mich Geld, und die Sachen werden auch nicht besser. Im Gegenteil. Die Miete frisst den Wert allmählich auf. Da muss man erst mal drauf kommen, das hat bei mir gedauert! In mein Lager kommt nichts Neues mehr rein, das geht alles weg. Ich fahre z. B. zum Trödelmarkt nach Leipzig, immer am letzten Wochenende des Monats. Das ist der größte Antik- und Trödelmarkt Deutschlands, meines Wissens, auf der AGRA, in der Bornaischen Straße. Da bekommen Sie alles, vom Barockschrank bis zur Mopedschraube! Seit Jahren fahre ich regelmäßig hin, wir haben dort einen Stand.
Aber das Auflösen von Wohnungen und Nachlässen macht mir immer noch Spaß. Ich habe sehr viel dabei gelernt, wie die Leute so leben, woran sie ihr Herz hängen. Normalerweise sitzt man ja eher im eigenen Saft und macht sich sein Bild an der Realität vorbei. Man bekommt viel mehr mit, wenn man in all diese fremden Wohnungen kommt. Allein in so eine Wohnung von einem anderen zu gehen - faktisch einzudringen -, wo man noch spürt, wer da gelebt hat, das ist immer noch aufregend. Manchmal macht man sich so seine Gedanken, über die ehemaligen Bewohner, über die ganze Geschichte.
In Schöneberg hatten wir eine Wohnung, da waren im Keller noch zwei Feldbetten aufgestellt und es gab zwei gepackte Rucksäcke. Der Mann war bei der Post, ein Rundfunktechniker. Er hat bei der ersten Fernsehübertragung mitgemacht, quasi bei der Geburt von einem neuen Medium, wie man heute sagt. Er war auch bei der Übertragung der Olympischen Spiele 1936 mit dabei. Spannend. Da waren viele Papiere noch vorhanden. Das Ehepaar hatte die dramatischen Bombennächte miterlebt und den Kampf um Berlin, den Einmarsch der Russen. Das haben sie ihr Leben lang nicht überwunden.
Ein anderer Haushalt, in dem deutsche Geschichte eine Rolle gespielt hat, war in Brandenburg. Es war der Haushalt von jemand, der im ,Dritten Reich' in der Justiz tätig war und dann später in der bundesdeutschen Justiz. Nach der Wende wurde er nach Brandenburg versetzt, zum Aufbau der neuen Rechtsordnung. Da habe ich eine Ordensspange gefunden und Briefverkehr und Papiere aus der Zeit. Die Ordensspange habe ich verscherbelt. Sie war anscheinend echt. Man weiß nie, ob so was echt ist. Die haben alles weggeschmissen zum Kriegsende.
Und dann gab es aber eine Firma, irgendwo in der Nähe von Köln, die das in den fünfziger Jahren wieder neu hergestellt hat. Da konnten die mit den Urkunden wieder erworben werden. Oder ein anderer Fall, wir hatten in Lichterfelde mal das Haus eines Militärarztes aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein großes Haus. Da war auch noch viel da, jede Menge Bücher und Propagandamaterial aus dem ,Dritten Reich'.
Und obwohl das Militärhistorische Museum schon kistenweise abgeholt hatte, lag immer noch viel rum. Auch aus späteren Zeiten, Stern, Spiegel, Zeitungen bündelweise. Und der Mann hatte eine wahnsinnige Angst anscheinend. Er hat Lebensmittel gehortet, Unmengen von Lebensmitteln. In dem großen Haus hatte er allein gelebt, das kann die Hölle werden. Aber die Generation ist ja inzwischen meistenteils verstorben. Wir haben es heute eher mit den späteren Jahrgängen zu tun.
Einige Kisten Champagner
Da macht man auch so manche neue Erfahrung. Beispielsweise die Wohnung eines Steuerberaters im Wedding. Ich hatte den gesamten Inhalt von einem Nachlassverwalter gekauft, mit dem Auftrag, alles auszuräumen. Der Verstorbene war offenbar sehr wohlhabend und hat trotzdem in so einem Mietshaus gelebt. Aber mit eigenem Fahrstuhl. Nur für ihn, vom Keller bis oben in sein Dachgeschoss, 420 Quadratmeter, luxuriös ausgebaut und mit Dachterrasse und phantastischem Blick über Berlin.
In den Stockwerken unter ihm lebten die Leute in ihren normalen Wohnungen. Warum wohnte er da? Er hätte nach Zehlendorf oder in den Grunewald ziehen können. Aber dort war es ihm vielleicht zu langweilig, reich zu sein. Hier konnte er von seiner Dachterrasse schön runterschauen auf die anderen. Es waren noch ein paar Kisten Champagner da, ich hatte vier Wochen Zeit zur Räumung. Es war 2002, ein warmer September und ich saß auf der Terrasse, habe auf die Stadt runtergeschaut und Champagner getrunken.
Damals habe ich das noch ein bisschen bewundert, heute ist es für mich vollkommen uninteressant und lächerlich, der ganze Luxus. Die Wohnung war modern eingerichtet, hat mal viel Geld gekostet, aber es waren fast alles Dinge, die kein Mensch mehr nehmen will. Wir haben dann über Ebay verkauft, es kamen Leute aus allen möglichen Gegenden und haben alles Mögliche mitgenommen, sogar die Fitnessmaschinen. Die hätte ich sonst weggeschmissen.
Im Grunde weiß man vorher nie so genau, was man findet. Oder nicht findet. Aber man hofft immer, etwas Besonderes zu finden. Das ist auch das Spannende an dieser Arbeit. Da war ein Haus in Nikolassee, von der Nachfahrin eines kaiserlichen Schiffsbauarchitekten, der die Wartung der deutschen Flotte beim Boxeraufstand in China geleitet hat. Er war schon lange verstorben, aber das Haus war immer noch voll mit seinen Erinnerungsstücken, mit Bildern und chinesischen Sachen.
Ich habe den Zuschlag bekommen und mich mit den Erben über die Kaufsumme geeinigt. Meistens gehe ich in so ein Haus rein, nehme eine Flasche Wein mit und setze mich erst mal hin, wegen der Atmosphäre, lasse das auf mich einwirken. Ich will ja in Ruhe mich umschauen, bevor die Arbeiter kommen am nächsten Tag.
Dann fange ich da an, wo die Neugier mich hintreibt. Hier dachte ich, der Dachboden ist spannend, da könnte noch einiges zu finden sein, Urkunden oder Fachbücher, Pläne, Karten, solche Dinge. Das war leider nicht so. Auch kein Schriftverkehr. Es waren aber noch Fotoalben da, die sehr interessant waren, und eben die vielen mitgebrachten Gegenstände, und das war das Spannende gewesen.
Oder eine andere Sache, ebenfalls in Nikolassee. Da hatte ich den Nachlass einer Familie aus Dresden, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts Druckfarben herstellte und europaweit Niederlassungen hatte. Da gab es noch zahlreiche Unterlagen. Eine fürchterlich spannende Geschichte."
Der Preis wird ausgehandelt
Er deutet auf ein Gemälde, das hinter ihm an der Wand hängt, und sagt: "Das war der Firmengründer." Es zeigt einen ernst blickenden Mann mittleren Alters, sitzend, in Kaufmannspose. "Und der Nachfahre ist, als er aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, mit der Familie nach Westberlin gegangen, denn die Fabrik in Dresden war zerstört. Er war schon 64 Jahre alt und hat trotzdem neu angefangen, beruflich. Und die haben sich tatsächlich noch mal eine Existenz aufgebaut, wieder mit Druckfarben. Für Siebdruck diesmal.
Es gab noch zahlreiche Fotos von dieser Familie. Vor allem aus den zwanziger Jahren. Und auch Fotos von der zerbombten Fabrik. Es gab Porträts der Firmengründer. Es gab Geschäftsbücher und sogar die alten Rezeptbücher für die Herstellung der Farben. Das sind manchmal spannende Schicksale und Geschichten, auf die ich stoße. Keiner beschreibt sie, kein Historiker interessiert sich dafür. Die gehen einfach unter. Nur ich nehme mir noch die Zeit. Meistens.
Bei Einfamilienhäusern ist das in der Regel nicht so dramatisch mit der Eile. Ich kaufe den ganzen Inhalt so eines Hauses und habe dann Spielraum. Wir gehen mit den Erben durch und handeln einen Preis aus. Im eben geschilderten Fall habe ich damals 12.000 Euro bezahlt. Da ist unsere Arbeit, meine und die von meinem angestellten Helfer Tim, mit drin, da ist alles mit eingeschlossen, Abtransport, Entsorgung und besenreine Übergabe. Also ich darf mich vorher bei der Schätzung nicht zu meinem Nachteil vertun, sonst bekommen wir grade mal so die Kosten rein, haben aber nichts verdient. Es ist immer so ein bisschen wie beim Glücksspiel.
Im Falle von Wohnungen allerdings - wo ja weniger Zeit ist, wegen der Kündigungsfrist -, wo der Haushalt vielleicht normal bis ärmlich ist, geht es genau anders herum. Hier geht es um Entrümpelung. Das heißt, es kostet die Erben Geld, dass wir die Wohnung besenrein leer machen. Weil eben nur Arbeit drinsteckt und keine Werte.
Das verstehen viele nicht. Oft brauchen die Erben ewig, haben alles dreimal in der Hand, wissen nicht, wohin damit, oder ob es überhaupt wichtig ist. Sie würden nie fertig werden! Deshalb muss es jemanden geben wie mich, der das für sie macht und ihnen sagt: So, das muss alles zur Kippe, selbst wenn die Sachen noch gut erhalten sind, aber die will niemand kaufen.
Im besten Fall verschenke ich das an einen Polen, an Alex, einen Händler aus Stettin. Der ist für mich ein Glücksfall, hilft mir sehr. Er übernimmt Herde, Kühlschränke, Waschmaschinen, Fernseher, Kleidung, Möbel. All das, was wir hier nicht verwerten können, wird ihm zu Hause noch abgekauft.
Frauenort Nähkästchen
Das ist eigentlich der Alltag. Es gibt so eine Faustregel, man kann sagen, wir müssen 10 bis 15 Wohnungen machen, die schlecht sind, bevor mal wieder eine interessante kommt, mit der wir belohnt werden für die ganze Mühe. Die Regel sind eben die schlechten.
So ist das Leben. Ab und zu gibt es sogar schreckliche Wohnungen, z. B. welche, die vollgestopft sind bis oben hin oder die furchtbar stinken, weil der Nachlasspfleger oder die Erben den Strom abgeschaltet haben, aber nicht daran dachten, den Kühlschrank oder die Gefriertruhe auszuräumen. Verwestes Fleisch stinkt so barbarisch, das versaut die ganze Wohnung, der Geruch geht für immer in die Sachen und Möbel über, da ist nichts mehr zu retten. Aber meistens ist alles ganz normal.
Und normal ist, dass bei dem, der Geld hatte, die Wohnung 150 oder 200 Quadratmeter groß ist und beim Rentnerehepaar, um das es meistens geht, sind es eben nur 50 bis 60 Quadratmeter. Wir sehen eigentlich den ganzen gesellschaftlichen Querschnitt beim Räumen. Nur türkische Wohnungen haben wir nie. Die regeln das anscheinend untereinander in der Familie.
Jetzt fällt mir das erst auf, wo Sie danach fragen. Und Griechen, Spanier, Italiener oder Schwarze, die sterben ja auch? Haben wir ulkigerweise nie dabei. Ich weiß keinen Grund dafür. Es gibt ja auch viele türkische und arabische Trödler und Händler, vielleicht lösen die diese Haushalte auf?
Aber das wird auch nicht viel anders sein als bei den Deutschen, bei denen die Wohnungen voll sind mit den Dingen, die man sich in guten Tagen angeschafft hat. Vieles davon hält bis ans Lebensende. Fernseher und so was wurde mal ausgewechselt, aber ansonsten sind das immer noch dieselben Einbauküchen aus den sechziger Jahren, an der Wand ein paar einfache Bilder, im Regal ein paar Romane, ein Lexikon, ein Atlas, die Möbel, das Schlafzimmer, die Stehlampe, die Blattpflanzen, die Flurgarderobe.
Da gibt es wenige Überraschungen. Außer vielleicht Kleinigkeiten. Was für mich immer noch interessant ist, sind Nähkästchen. Manchmal sind Häkelnadeln aus Elfenbein drin, vielleicht ein schöner Fingerhut, alte Knöpfe aus Perlmutt oder Horn, Kragenstäbchen aus Fischbein. In Nähkästchen wird vieles versteckt, alte Liebesbriefe, ein bisschen Schmuck in einer Blechdose. Das ist der sicherste Ort, weil, Männer gehen nicht an Nähkästchen. Das Nähkästchen ist tatsächlich so ein besonderer Ort der Frau.
Ein Selbstmord-Set
Aber wenn ich nichts finde, geht es wie alles andere zum Müll. Ganze Kücheneinrichtungen, bis hin zum Nudelholz und Eierschneider gehen zum Müll. Auch das Eingeweckte, die Marmeladen aus dem Keller. Für mich ist das manchmal schwer. Meine Großmutter ist auf der Flucht umgekommen, weil sie noch mal zurückgegangen ist, um das Eingeweckte zu holen, für unterwegs.
Wir sehen auch seltsame Sachen. Das Schlimmste war mal ein Selbstmord-Set gewesen, von einer Schweizer Organisation. Das hab ich noch. Und wir sehen, woran die Leute ihr Glücksgefühl gehängt haben oder auch ihre Hoffnungen, was die Leute so alles sammeln und anhäufen. Es gibt welche, die Shampoos, Seifen, Parfums und so was alles sammeln. Oft finden wir irgendwelche superteuren Anti-Aging-Medikamente, die sich die Rentner haben einreden lassen, oder komische Cremes gegen Falten oder Gelenkleiden. Und dann gibt es massenhaft diese Sammeltassen, Dekoartikel, Vasen.
Ich kann in kein Kaufhaus gehen! Vor Weihnachten war ich bei Ikea, um diese großen Taschen zu kaufen. Als ich da in der Schlange vor der Kasse stand und gesehen habe, was die Leute so alles in ihrem Wagen haben, diese ganzen Bilderrähmchen, Stofftiere, Blumentöpfe, Gläser, Tischsets.
Das ist Wahnsinn! Ich hätte am liebsten gesagt: Um Gottes willen, kommt in diese Wohnung, die wir grade räumen, schaut euch das an, was wir wegwerfen, den gleichen Plunder, säckeweise. Es ist schade um das schöne Geld. Sobald die das über die Ladenschwelle raustragen, wird es zu Müll. Das Warenhaus ist die Vorform der Müllkippe. Aber wir leben von dieser Hoffnung.
Im Osten gab's das gar nicht, diese ganzen Figürchen, diese Art von Nippes, diese Unmenge von Plüschtieren. Ich habe ja zum ersten Mal in den Westhaushalten diesen ganzen Konsumwahnsinn mitgekriegt. Diese ganzen Schnurrpfeifereien. Aber mal abgesehen davon, war der Unterschied zwischen der Ostwohnung und der Westwohnung gar nicht so groß.
Die Einrichtungsgegenstände sind ähnlich, irgendwie war es vergleichbar. Die Couchgarnitur, die Anrichte, der Tisch - unser Tischtuch war eben aus Plaste - und dazu ein paar Stühle. Und natürlich die Schrankwand. Wissen Sie, wenn wir die mit dem Fuß zusammentreten - hier wie dort -, dann sieht man, es ist Spanplatte unter dem Furnier. Lediglich bei der Schrankwand im Osten, da muss man ein bisschen rabiater sein, da muss man eben zweimal mehr dagegentreten. Die sind immer fürchterlich verschraubt. Aber mit einem alten Möbelstück aus Holz, einer Tischlerarbeit, ist das alles gar nicht zu vergleichen. Das hatte eine ganz andere Wertigkeit gehabt.
Ich habe schöne und alte Sachen sehr gern. Gute Bilder interessieren mich, Seestücke, Landschaftsbilder, Porträts. Alte Kristall-Lüster. Und gute Bücher interessieren mich auch. Die anderen Bücher gebe ich meist an einen Freund, der einen Bücherstand am Rathaus Schöneberg betreibt. Ich stelle aber auch in Z.V.A.B. Bücher ins Internet. Wenn ich besonders gute Bücher finde, bringe ich sie zu Auktionen.
Ein Buch für 12.000 Euro
Einmal hatte ich Glück und bekam 12.000 Euro für ein kleines Buch. Es handelte von diesem Erdbeben am 1. November 1755 in Lissabon und hatte interessante Stiche. Das war damals eine ähnliche Katastrophe wie jetzt in Japan, mit einem ganz schweren Erdbeben und einem Tsunami, wo alles zerstört wurde. Aber außergewöhnliche Bücherfunde sind selten.
Mir würde es keinen Spaß machen, etwas bei einer Auktion zu kaufen, selbst wenn es mir sehr gefallen würde. Wenn das im Katalog drinsteht, es alle schon gesehen haben, dann ist das langweilig für mich. Etwas selbst zu entdecken in einer Wohnung, das hat für mich einen viel größeren Glanz.
Aber wir sehen täglich, dass der Wert nichts Bleibendes ist. Dass die Leute ihr Geld rausgeworfen haben, für ein Nichts. Die Wohnungseinrichtungen, die wir räumen, das ist ja im Prinzip alles unbrauchbar gewordenes Geld. Allein die Kopien von alten Möbeln, diese sogenannten Stilmöbel aus den sechziger und siebziger Jahren, die für teures Geld gekauft wurden, sind heute nur noch Zeug, was alles nichts mehr wert ist. Nichts mehr bedeutet. Gerümpel!
Die Stehlampe aus massivem Messing mit Pergamentschirm. Eine Stehlampe will kein Mensch mehr! Oder ich finde Rechnungen über 40.000 DM für große Perserteppiche, die in den sechziger Jahren angeschafft wurden. Ich fasse mir an den Kopf und frage mich, warum die Leute dafür dieses viele Geld ausgegeben haben? Bei Gebrauchtwaren-Auktionen bekomme ich mit viel Glück allenfalls 300 Euro dafür.
Pelzmäntel gehen nicht
Kein Mensch will heute noch so einen Teppich in seine Wohnung legen. Der passt gar nicht mehr zur Einrichtung, zu nichts. Man kann ihn nicht einrollen, dann gehen die Motten dran. Ich sage den Erben, behalten Sie ihn bitte, ich kann nichts damit anfangen. Aber die können das gar nicht verstehen.
Oder eine repräsentative Regal- und Schrankwand, maßgefertigt für 80.000 DM, in einer Wohnung in Ku'damm-Nähe. Ich habe sie angeboten auf Ebay. Am Ende haben wir sie rausgerissen und auf die Kippe gefahren. Ich finde Rechnungen von Schmuck, der gar nicht mehr da ist, aber mal Abertausende gekostet hat.
Oder auch Kristall. Diese ganzen Vasen, farbigen Römer, großen Obstschalen. Das war mal teuer, deshalb haben die Erben immer ganz falsche Vorstellungen vom Wert heute. Sie sind entsetzt darüber, dass es nichts mehr dafür gibt. Das will einfach keiner mehr haben. Ist nicht zu verkaufen, außer mal an türkische Familien, die über den Flohmarkt spazieren. Das sind die Einzigen, die da noch was Edles drin sehen.
Oder ich finde Pelzmäntel, Nerze und vor allem Persianer, die zu wahnsinnigen Preisen gekauft wurden. Das waren mal Zeichen für Reichtum: Bungalow, großer Wagen, Schmuck, Teppiche, der Persianer-Pelzmantel. Die Leute waren zu was gekommen und wollten das zeigen. Heute sind Persianer fast wertlos.
Hier in Deutschland sind ja Pelzmäntel generell verpönt. Die gehen alle nach Russland und werden dort umgeschneidert. Kurioserweise stammen die Persianer-Felle ja alle aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Zentralasien. Und nun gehen sie wieder zurück. Zu Persianern kann ich Ihnen noch eine schöne kleine Geschichte erzählen. Die Mäntel habe ich eine Zeit lang immer Richtung Hannover an jemand gegeben.
Der hatte die glorreiche Idee, sie aufzutrennen und daraus solche Rückenschutz-Pelzmäntel für kleine Luxus-Hunde zu machen. Damit hat er gutes Geld verdient. Sehen sie, da ist ausnahmsweise noch mal ,brauchbar gewordenes Geld' entstanden, aus einem unbrauchbar gewordenen Pelzmantel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Menschenrechtslage im Iran
Forderung nach Abschiebestopp