Boxen gegen die Wut im Bauch

PRÄVENTION Frühere Box-Weltmeisterin erklärt Mädchen, wie man Aggressionen kompensiert

Susianna Kentikian sagt Sätze, die bei ihrer Zuhörerschaft ankommen. „Man muss sich seinen Respekt erkämpfen“, ist so einer. „Du musst an dich glauben, an deinen Zielen festhalten“, ein weiterer. Oder: „Blaue Flecken vergehen, der Erfolg bleibt.“ In der Aula der Hedwig-Dohm-Oberschule wird es immer still, wenn Kentikian spricht.

Kentikian ist ein Boxstar. Sie war Fliegengewicht-Weltmeisterin bei den drei wichtigsten weltweiten Verbänden. Die gebürtige Armenierin kam am Freitag zu einem Gespräch mit den Schülerinnen der achten und neunten Klasse in die Moabiter Schule. Da war sie Gast der Abschlussveranstaltung eines Anti-Gewalt-Trainings, das in den vergangenen Wochen mit vier Mädchen aus diesen Jahrgängen durchgeführt worden war.

Wenn Mädchen schlagen

Das Programm war eine Kooperation des Quartiersmanagements Moabit, der Schule und des Instituts für genderorientierte Gewaltprävention (IfgG). Es war speziell für Mädchen konzipiert – und man hat sich bewusst auf wenige „auffällige“ Schülerinnen konzentriert. „Für Jungs gibt es in dieser Hinsicht so viel“, sagt Uli Streib-Brzic vom IfgG, „wir wollten etwas für Mädchen anbieten, die Probleme mit der Kompensation ihrer Aggressionen haben.“

Wie man das macht, erklärt die nur 1,53 Meter große Boxerin. Sie sitzt unter einem großen, selbst gemalten „Willkommen Susianna Kentikian“-Schild und beantwortet die Fragen der etwa 150 Schülerinnen, die an ihren Lippen hängen. Was ihre Eltern zu ihrem Beruf sagen, fragt eine Schülerin. „Meine Mutter kann bis heute nicht verstehen, was ich da mache“, sagt die 25-Jährige. Kentikian erzählt aber vor allem, wie sie sich verändert hat, seit sie Boxerin ist. „Ich bin viel selbstbewusster geworden, trete ganz anders auf. Und ich bin ruhiger und ausgeglichener mittlerweile.“

Die seit 1997 in Hamburg lebende Kämpferin weiß auch um die schwierige Situation, in der viele Kinder mit Migrationshintergrund sich befinden. Kentikians Familie war selbst mehrmals von Abschiebung bedroht, die Aufenthaltserlaubnis bei ihren Eltern werde immer nur kurzfristig verlängert. „Ich weiß, wie es vielen Schülern hier geht“, sagt sie. Sie spricht von Behördengängen, von Zukunftsangst. Aber auch von „Durchhaltevermögen, Disziplin, Geduld“, die sie durch den Sport entwickelt habe – und im Alltag brauchen kann.

Diana, 15, und Mariam, 13, die an dem Programm zur Gewaltprävention teilgenommen haben, moderieren das Gespräch. „Ich war ganz schön aufgeregt“, sagt Mariam danach. Das Anti-Gewalt-Training sei für sie persönlich wichtig gewesen: „Ich habe schon hin und wieder zugeschlagen“, sagt sie und meint damit nicht das Kämpfen im Ring. „Ich habe da ein Problem, mit Wut umzugehen.“ Das Training wurde nach der TESYA-Methode durchgeführt. TESYA steht für „Training, Empowerment, Support for Youth and Adults“.

Die aufmerksamen Schüler, die vielen Fragen, der Ansturm bei der Autogrammstunde – all das zeigt, dass die Projektleiterinnen den richtigen Gast eingeladen haben. JENS UTHOFF