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: Preisgekrönte Jugendbücher: „Die Kurzhosengang“ für die Alten und „Im Schatten der Wächter“ für die Jungen

Was für eine grandiose Aufschneiderei: Rudolpho, Snickers, Island und Zement – mit solchen Namen wird man nicht geboren, sie sind Ehrenmedaillen. Und wenn grad keiner da ist, der einem so eine Medaille umhängt, macht man es eben selbst. Rudolpho, Snickers, Island und Zement sind da nicht zimperlich, schließlich gehören die vier zur Kurzhosengang. Was, nie gehört? Ein echter Bildungsmangel! Schließlich ist die Gang weltberühmt. Akademische Abhandlungen wurden über sie geschrieben, die Zeitungsarchive quellen über von Berichten über ihre Heldentaten, und das Fernsehen ist verrückt nach ihnen. Die fantastischen vier aus dem fernen Kanada – Spezialgebiet: Horrorfilme – bewahren Züge vor dem Entgleisen, lassen Eishockeyspieler gefrieren und nehmen es sogar mit Grizzlys auf. Sie sind eine Symbiose aus Retter, Star und Großkotz –wenn ihnen was fremd ist, dann die Leisetreterei. Und die Wahrheit ist auch nicht gerade ihr Spezialgebiet. „Aber wer will schon immer das Richtige sagen, wenn das Falsche besser klingt?“

„Die Kurzhosengang“ ist ein echtes Jungenbuch, und es ist eins der witzigsten seit langem. Gute Pointen und ironische Dialoge der Güteklasse halten die Geschichten in der Schwebe zwischen Heldensaga und Parodie, wobei sich die Jungs die Gags leicht wie Bälle zuwerfen. Dieses Buch ist ein einziges Spiel, ein Spiel der Aufschneider. Zu ihnen gehören auch die Autoren Zoran Drvenkar und Andreas Steinhöfel, die sich hinter dem Autorenpaar Caspak und Lanois verstecken. Hier ist alles inszeniert, auch das Schreiben selbst. Das mag für junge Leser verwirrend sein – für Erwachsene ist es ein Spaß. So ist es kein Zufall, dass „Die Kurzhosengang“ von der Kritikerjury den diesjährigen Jugendliteraturpreis bekam.

Die Jugendjury dieses Preises hat sich interessanterweise für ein anderes Buch entschieden: „Im Schatten der Wächter“ erzählt ebenfalls von einer Jungengang, aber hier gibt es keinen Fake, alles ist echt. Und ernst, todernst. Ein realistischer Roman, der den Werdegang eines Jungen vom Opfer zum Täter beschreibt, wobei der Begriff Mobbing verharmlosend wäre. Angst, Selbsterniedrigung und rohe Gewalt machen Elliot mürbe. Als er die Schule wechselt, versucht er einen Neuanfang: Er erfindet einen neuen Elliot, der cool genug ist, um von den Wächtern, die an seiner neuen Schule das Sagen haben, auserkoren zu werden. Diese Wächter begehen keine Jungenstreiche, sie sind eine faschistische Terrorgruppe, die die ganze Schule unter Druck setzt. Mit einem ausgeklügelten System aus Gewalt und Gruppenzwang, den Methoden von Orwells „1984“ abgeschaut, machen sie sich ihre Umgebung untertan. Nun soll Elliot einer der Ihren werden. Für den bedeutet dies eine einzigartige Chance, aus seiner Opferrolle herauszukommen. Er nutzt seine Chance, so gut er kann.

Mit enormer Intensität beschreibt der Engländer Graham Gardner die Gefühle seiner Hauptfigur. Mit Konzentration bleibt er bei ihr, und trotzdem erzählt er Elliots Geschichte nicht aus der Ich-Perspektive. Das ist handwerklich geschickt. Denn so nah er den Gefühlen und Gedanken dieses Jungen kommt, hält er ihn doch auf Distanz.

Auch der Leser bleibt Elliot gegenüber ambivalent. Denn immer mehr wird Elliot zum Lügner, der nur sagt, was ihm gerade zu nützen scheint. Elliot zahlt einen hohen Preis für seinen Aufstieg: Immer virtuoser setzt er seine Schutzmasken ein, doch dabei verliert er sich selbst. Und als er sich verliebt, wird ihm das beinahe zum Verhängnis. Denn Louise will wissen, wer dieser Elliot wirklich ist, aber der weiß es selbst weniger denn je. ANGELIKA OHLAND

Victor Caspak, Ives Lanois: „Die Kurzhosengang“. Deutsch von Andreas Steinhöfel. Bilder von Ole Könnecke. Carlsen Verlag, Hamburg 2005, 208 Seiten, 12 Euro Graham Gardner: „Im Schatten der Wächter“. Aus dem Englischen von Alexandra Ernst. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2005, 199 Seiten, 14,50 Euro