Kolumne Fernsehen: Wie peinlich ist das denn?

Was ein Apothekenbesuch im Auftrag eines Freundes und ein Konzertbesuch Mitte der Neunziger gemeinsam haben.

Neulich musste ich in die Apotheke, um ein Medikament zu besorgen, dessen Kauf mir ein bisschen unangenehm war - für einen Bekannten, versteht sich.

Das mit dem Bekannten habe ich dann auch gleich dem Apotheker erzählt, der mich daraufhin noch eine Spur mitleidiger anschaute. Dabei habe ich dem Bekannten diesen Gefallen wirklich gern getan. Wer will schon für die eigene Blasenschwäche Medikamente einkaufen?

Und so hatte ich tiefstes Verständnis für die Anzeige, die ich, als ich vorige Woche bei Freunden auf dem Klo saß, in der Brigitte entdeckte. In der Mutter aller Frauenzeitschriften warb ein Pharmahersteller für eine Salbe gegen Scheidentrockenheit - offenbar eine Geißel der Menschheit, aber eine, mit der ich zuvor selten konfrontiert worden war. Umso aufmerksamer studierte ich die Seite: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das Besondere an jenem Präparat, dass es hormonfrei ist, also unbedenklicher im Gebrauch.

Der Clou an der Anzeige aber fand sich ganz rechts unten: ein Abschnitt, den frau dem Apotheker wortlos über den Verkaufstresen schieben kann, damit frau nicht aussprechen muss, was frau nicht aussprechen will.

Das menschliche Schamgefühl setzt allerdings nicht nur bei Blasenschwäche und Scheidentrockenheit ein - auch das weite Feld der Popkultur ist voller Vorlieben, die man lieber für sich behält. So würde ich zum Beispiel niemals damit hausieren gehen, dass ich Mitte der 90er Jahre in der Halle Münsterland mal auf einem Konzert der übergefälligen Deutschpopband Pur war und auch heute noch erschreckend textsicher bin: "Lena, du hast es oft nicht leicht, wie weit die Kraft doch reicht …"

Ach, aber eigentlich ist das auch komplett egal.

Bevor Sie sich unnötig sorgen, gebe ich an dieser Stelle öffentlich Entwarnung: Ich habe schon lange mit Pur gebrochen und singe heute höchstens noch mal nachts um drei bei der YouTube-Disco ironisch mit.

Vor diesem autobiografischen Hintergrund möchte ich eine Warnung formulieren: Traue niemandem, der vorgibt, schon als Teenager nur gute Musik gehört zu haben. Er oder sie lügt. Oder ist ein Android.

Wenn ich heute noch Pur-Fan wäre, könnte ich darüber nicht so offen reden. Soziale Ächtung wäre mir gewiss. Ähnlich wäre es wohl, wenn ich sagen würde (Konjunktiv!): "Deutschland sucht den Superstar" ist meine Lieblingssendung und Dieter Bohlen eine coole Sau. Ob "Hallo Spencer", "Ein Schloss am Wörthersee", "Agentin mit Herz" oder "Jetzt oder nie" - die zahlreichen Lieblingssendungen meiner Vergangenheit gehen schon in Ordnung, wecken gar nostalgische Gefühle.

Auf meinem Bücherregal stehen zwei quietschbunte Pappkartons mit Ernie und Bert drauf und alten Fotos drinnen. Ich überlege schon lange, sie durch "erwachsenere" zu ersetzen, damit Gäste keinen falschen Eindruck von mir bekommen, bringe es aber nicht übers Herz.

So, zum Schluss habe ich dann doch noch mal die Hose runtergelassen. Zum Glück trage ich heute nicht die Boxershorts mit den Buntstiften drauf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.