Friedensforscher über deutsche Außenpolitik: Plädoyer gegen Renationalisierung
Ein Gutachten kritisiert die deutsche Außenpolitik und mahnt Hilfe für Arabien an. Auch die Reform der Bundeswehr sei unzureichend.
BERLIN taz | Die Wissenschaftler der fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstitute hinterfragen massiv die Außenpolitik der Bundesrepublik. In ihrem jährlichen Friedensgutachten sprechen sie sich gegen die geplante Bundeswehrreform aus und kritisieren den Umgang mit den arabischen Staaten.
Die Reform der Bundeswehr sei einerseits unzureichend, weil auch in Zukunft zu wenige Truppen für humanitäre Einsätze zur Verfügung stünden. Andererseits kritisieren die ForscherInnen die Fokussierung auf Kampfeinsätze zur Rohstoffsicherung. Bei den UN-Friedenstruppen engagiere sich Deutschland hingegen zu wenig.
Mit der Enthaltung von Bundesaußenminister Guido Westerwelle bei Beginn der Libyenkrise gehen die Herausgeber des Gutachtens hart ins Gericht: "Einmalig ist, dass sich Deutschland damit gegen seine traditionellen Verbündeten in Europa und auf die Seite von China und Russland gestellt hat", sagte Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung bei der Präsentation des Gutachtens.
Grenzen "neu justieren"
Eine Zustimmung zur Resolution gleichzusetzen mit der Verpflichtung, Truppen zu stellen, sei ein Fehler gewesen. "Mit derselben Argumentation hatten die USA sich gegen ein Eingreifen vor dem Völkermord in Ruanda ausgesprochen", ergänzte Professor Tobias Debiel, Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden.
Einig sind sich die Wissenschaftler darin, dass Westerwelle zumindest den Versuch einer diplomatischen Lösung hätte unternehmen müssen. "Verhandlungen mit Gaddafi wären dabei eine bittere, aber notwendige Pille gewesen", so Debiel. Das Gutachten diagnostiziert eine Renationalisierung und einen neuen Populismus in Europa.
Gelegenheit für ein Gegensteuern biete die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten. "Der arabische Frühling ist vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer", sagte Margaret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Nun biete sich die Chance, die erblühenden Demokratien mit westlichem Know-how weiterzuentwickeln. Dafür sei es notwendig, dass Europa sich öffnet und den arabischen Ländern Perspektiven bietet.
"Die Grenzen Europas müssen neu justiert werden", bilanziert Corinna Hausweddel vom Bonn International Center for Conversion. Derzeit scheine es, so Schoch, "als wäre das islamische Feindbild abhanden gekommen und nun auf die Flüchtlinge übertragen worden".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“