In die Abgründe schauen

Paula Dombrowski, neuer Star des Thalia Theaters, erhält den Boy-Gobert-Preis als beste Nachwuchsdarstellerin

von Carolin Ströbele

Das Erste, was an Paula Dombrowski auffällt, ist diese Verletzlichkeit. Wie sie die Augen niederschlägt oder den Blick in die Ferne schweifen lässt, wenn man ihr mit einer Frage zu nahe gekommen ist. Manchmal wirkt sie dann wie ein scheues Tier, bei dem man fürchtet, es werde im nächsten Moment die Flucht ergreifen. Das zweite, was hervorsticht, ist die unglaubliche Kraft in ihren Augen. Wenn Paula Dombrowski jemanden ansieht, dann sieht sie ihn wirklich an.

„In die Abgründe des Menschen zu gucken ist auch privat meine Lieblingsbeschäftigung“, sagt die Schauspielerin, die am Sonntag im Thalia Theater den diesjährigen Boy-Gobert-Preis als beste Nachwuchsschauspielerin bekommt. Sie sagt das zwar mit ihrem ganz eigenen glucksenden Lachen, aber meint es todernst. „Was mich wirklich interessiert, sind Menschen. Die Tiefen ihrer Seele.“

Wenn man die 30-Jährige auf der Bühne gesehen hat, dann weiß man, dass es gerade die brüchigen Charaktere sind, denen sie mit ihrer Mischung aus Verletzlichkeit und Durchsetzungswillen so viel Faszination verleiht. Gleich zu Beginn ihres Engagements am Thalia Theater schreckte sie als misshandeltes Kind in dem Solostück Die Schere von Dea Loher das Hamburger Publikum auf. Als Cordelia in King Lear ging ihr Talent leider ein wenig unter in der opulenten Kriegenburg-Inszenierung. Ganz anders in Effi Briest unter der Regie von Jorinde Dröse – für Dombrowski bisher ihre spannendste Rolle am Thalia: „Bei ‚Effi‘ hat man fast alles: Das ungebrochene, naive Mädchen und später eine Frau, die zwei heftige Traumata zu verarbeiten hat.“

Dombrowski verkörpert ihre Rollen so intensiv, dass man ihr sofort glaubt, dass sie den Schmerz, den ihre Figuren erleben, auch selbst schon gespürt hat. Sie selbst kann das bestätigen: „Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich auf einer Welle des Glücks geschwommen bin und Zeiten, in denen ich am tiefsten Boden gekrochen bin.“ Je mehr Facetten sie von ihrem eigenen Charakter kenne, desto vielfältiger könne sie sie auch ihren Bühnenfiguren verleihen.

Dombrowskis Kunst besteht darin, diese Stimmungen nicht laut hinauszutragen, sondern fast unmerklich zu vermitteln, mit einem Zucken des Mundwinkels oder einem dieser scharfen, listigen Blicke, die sie ihrem Gegenüber gerne zuwirft. Doch es gebe natürlich auch Abende, an denen sie sich überwinden müsse, in ihren „Tiefen rumzugraben und emotional zu werden“, sagt Dombrowski. „Wenn man überhaupt kein Bedürfnis hat, sich zu entäußern, sondern nur heim ins Bett will.“ Furchtbar sei es auch, in einem Stück zu spielen, das den Leuten nicht gefalle. „Dann tut es weh, auf die Bühne zu gehen.“ Erfolg bedeute für sie, „dass Wunsch und Realität zusammenkommen“.

In ihrem eigenen Leben war das nicht immer so: Zweieinhalb Jahre und 14 Schauspielprüfungen dauerte es, bis Dombrowski schließlich an der Ernst-Busch-Schule in Berlin angenommen wurde. Ihren Durchhaltewillen verlor sie zum Glück nie in dieser Zeit: „Ich habe immer gewusst, dass ich Schauspielerin werden will und muss – ich konnte damals nur noch nicht beweisen, dass ich es kann.“

Dombrowski bestimmt gerne ihr eigenes Tempo. Sie ist jemand, der sich Zeit lässt mit der Beantwortung einer Frage. Und wenn sie die Antwort darauf nicht weiß, dann weiß sie sie eben nicht. Und traut sich auch, das zu sagen. Bei der Entwicklung einer Rolle sei das so ähnlich: „Ich brauche lange, um mich einem Thema oder Menschen anzunähern“, sagt die 30-Jährige. „Und ich brauche lange, bis ich es spielen kann.“ Bei den Regisseuren, die ihr diese Zeit nicht gelassen haben, „ging es auch in die Hose“, stellt sie ganz nüchtern fest.

Bisher hat ihr „Timing“ immer für sie gearbeitet. Und daher glaubt man Dombrowski auch, wenn sie sagt: „Ich lasse mich eigentlich immer überraschen, was mir in meinem Leben begegnet.“ Man darf gespannt sein, was da noch kommt.

Paula Dombrowski erhält am Sonntag im Thalia den Boy-Gobert-Preis