Lesung: "Etwas von Altersweisheit"

Der streitbare Ralph Giordano stellt am Montag im Rathaus sein jüngstes Tagebuch "Mein Leben ist so sündhaft lang" vor und gibt sich milder

"Im Umgang mit Menschen hat es manche Begegnung gegeben, die ich heute milder sehe": Ralph Giordano Bild: dpa

taz: Sie lesen heute aus Ihrem Buch "Mein Leben ist so sündhaft lang". Ist das tatsächlich ihr privates Tagebuch?

Ralph Giordano: Ja. Es entstand zwischen meinem 86. und 87. Geburtstag, also 2009 und 2010.

In der Regel schreibt man Tagebücher für sich selbst. Was an Ihrer Eitelkeit hat Sie bewogen, das zu veröffentlichen?

88, ist Schriftsteller, Publizist, Regisseur und Sohn einer jüdischen Klavierlehrerin

Kein einziges meiner über 20 Bücher ist aus Eitelkeit entstanden. Der kreative Kreisel in mir ist etwas, was offenbar zum Gesetz meines Lebens zählt - was nicht bedeutet, dass ich nicht eitel wäre. Aber wenn das zu weit nach vorne treten sollte, dann dämpfe ich mich selbst.

Das Buch ist autobiografisch...

...wie alle meine Bücher.

Was kann man dann hier noch neues über Sie lernen?

Man kann daraus eines erkennen: In welcher Weise mein Leben verwoben ist mit den großen Strömungen der Geschichte. Meine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus geht ebenso in diese Richtung wie jene mit dem Stalinismus. Ich war ja bis 1957 elf Jahre lang KPD-Mitglied, weil ich fälschlicherweise dachte, die Feinde meiner Feinde müssten meine Freunde sein.

Was bedeutet, vor diesem Hintergrund, der Buchtitel?

Dieser Titel ist einem Mann entliehen, den ich sehr bewundere und auch noch gekannt habe: Victor Klemperer. Er war ein großer Linguist, der ein Buch über die Sprache des 3. Reiches geschrieben hat. Aber auch ein monumentales Gedenkwerk verfasste: "Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten. Tagebücher 1933-1945". Nichts schildert deutlicher und überzeugender, was es damals bedeutete, ein Jude zu sein. Der Titel passt, auch weil es manches in meinem Leben gibt, dass ich, könnte ich, gern ungeschehen machen würde.

Zum Beispiel?

Im Umgang mit Menschen hat es manche Begegnung gegeben, die ich heute milder sehe.

Meist gelten Sie immer noch als "furioser Wütender", wie die FAZ es ausdrückte

Der NS-Täterschaft gegenüber bin ich nicht milder geworden. Aber natürlich muss man differenzieren, wie jemand zum Täter geworden ist. Aber ich entdecke eine größere Bereitschaft, hinzuhören, wenn etwas gegensätzliches auftaucht, zu versuchen, den Standpunkt des anderen zu begreifen. Das kann etwas von Altersweisheit haben.

2003 noch haben sie in Bremen für Streit gesorgt, bei der Verleihung des Friedenspreises der Villa Ichon an Martin Rooney.

In dieser Auseinandersetzung stand ich ganz auf Seiten meines Bremer Freundes Martin Rooney, Kärner der Menschenrechte. In meinen Augen zählen seine Kontrahenten Klaus Hübotter und Heinrich Hannover zur "Internationale der Einäugigen", deren eine Fraktion auf dem rechten, die andere auf dem linken Auge blind ist, und die beide mit ihren jeweiligen Vorzeichen in einem Teil der Welt befürworten, was sie im andern bekämpfen. Die genannten Herren aber sind nachweisbar auf dem linken Auge blind, ihre Sensoren für Menschenrechte leider nur westwärts ausgefahren - was Martin Rooney ihnen überzeugend nachgewisen hat. So wird man mein Freund - oder mein Gegner.

Montag, 20 Uhr, Obere Rathaushalle

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