die wahrheit: Hilfe, ich germanisiere!
"Im Jahr des Hasen": Diese Kolumne wäre fast nicht fertiggeworden. Seitdem ich in Deutschland weile, werde ich nämlich immer fauler...
...Bekanntermaßen haben es ja die Deutschen nicht so mit der Arbeit. Beziehungsweise: Eigentlich ist das eher weniger bekannt. Doch überall ist es abzulesen, zum Beispiel an den Schildern der Berliner Baustellen. Das Mehrzweckbecken im Kreuzberger Prinzenbad sollte angeblich bis Mitte Mai repariert sein; die Wasserleitungen im Bötzowviertel bis April verlegt.
Tatsächlich aber sind die Arbeiten auch heute noch nicht abgeschlossen. Und genauso sieht es an jeder Baustelle in Deutschland aus, die ich in den letzten Monaten inspizierte. Nichts hat man hier fristgemäß vollendet. Der wahrscheinliche Grund: die deutsche Faulheit eben.
Die wird auch von den Statistiken bestätigt: Nach Angaben des European Industrial Relations Observatory, einer EU-Behörde, arbeitete im Jahr 2008 ein durchschnittlicher Deutscher pro Jahr 1.650,6 Stunden. Innerhalb der EU taten nur noch die Schweden, die Dänen und die Franzosen weniger. Ein durchschnittlicher Rumäne dagegen kam auf 1.856, ein Grieche auf 1.816 und ein Spanier immer noch auf 1.715,8 Arbeitsstunden jährlich. Das heißt, ein Deutscher arbeitet im Schnitt 165,4 Stunden weniger als ein Grieche. Das sind rund 21 Arbeitstage.
Im Vergleich zu einem durchschnittlichen Chinesen aber tut ein Deutscher fast keinen Handschlag. Leider fehlen hier die aussagekräftigeren Jahresarbeitszeitstatistiken. So müssen wir uns mit dem Vergleich der Wochenarbeitszeiten begnügen. Ein durchschnittlicher Hongkonger arbeitet 48,8 Stunden pro Woche (2008), ein Pekinger 47,2 (2006). Die deutsche Wochenarbeitszeit beträgt dagegen 41,2 Stunden (2008).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in die letzte Zahl noch nicht die 30 Urlaubs- und die ganzen Feiertage der Deutschen eingerechnet sind. Die tatsächliche deutsche Wochenarbeitszeit liegt also deutlich unter dem genannten Wert. In China hat man dagegen lediglich fünf bis fünfzehn Tage bezahlten Urlaub, weshalb sich hier die Wochenarbeitszeit kaum reduziert.
Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die Deutschen ziemlich ungern arbeiten. Sie machen sich lieber auf Kosten der Rumänen, Griechen und Chinesen einen lauen Lenz. Sie feiern eine Party nach der anderen, vor allem hier in Berlin, wobei sie große Mengen Alkoholika in sich reinschütten. Dabei macht es ihnen besonders viel Spaß, Menschen, die diese Form des Dauermüßiggangs nicht mehr gewohnt sind, einzuladen, abzufüllen und sie auf diese Weise ganz langsam mit dem deutschen Faulfiebervirus wieder zu infizieren.
Und so hat es denn auch mich erwischt. Statt über ein anständiges Kolumnenthema nachzudenken, schob ich es immer wieder auf, dachte: "Kommste heut nicht, kommste morgen." Zum Schluss fiel mir dann nur noch ein, die deutsche Faulheit selbst zu thematisieren. Das reichte noch für dieses Mal. Doch was mache ich in der übernächsten Wo…? Ach, egal. Nur nicht heute. Pfffff. Rrrrrratz. Und schnarch.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
Enzo Aduro
Gast
Die Deutschen haben aber ein ziemlich hohen Leistungsbilanzüberschuss dafür das Sie so wenig arbeiten.
Ob in Griechenland - wo es viele Scheinbeamten gibt, wo man für pünktlichkeit einen bonus bekommen - wirklich in jeder Stunde arbeiten in der Sie arbeiten ist fraglich.
Aber scheinbar kaum zu arbeiten scheinen Bauarbeiter bei öffentlichen Bauherren. Vor meinem Studentenwohnheim wurde das Pflaster ausgewechselt. Hat ewig gedauert. Die waren aber auch erst um Zehn Uhr da, haben um 12 eine Stunde Pause gemacht und waren um 3 wieder weg.
Daniel
Gast
Effektivität und Originalität sind nur ein paar Wörter, die in diesem Aufsatz zu kurz kommen.
Und zwei Städte mit einem Land zu vergleichen ... nun ja...
Eine andere Frage wär, ob Geschäftsessen und geschäftliche Treffen, z.B. KTV, in die wöchentliche Arbeitszeit von Chinesen reingerechnet werden.
Ob Chinese oder Deutscher - irgendwie sind wir doch beide Menschen mit biologischen Grenzen - und daher moechte ich lucashaferland nur zustimmen und auf den Spruch verweisen
Arbeiten, um zu leben - nicht leben, um zu arbeiten.
lucashaferland
Gast
Dem ach so fleißigen Autor Christian von Schmidt
ist ein vierjähriger Arbeitseinsatz
in China bei FOXCONN zu wünschen, um sich
von der deutschen Faulheitskrankheit zu erholen.
Wir verzichten gerne auf einen weiteren Erkrankten
und wünschen gute Genesung.