Depression im Zweistromland

Im Irak sind bislang bombensichere Arbeitsplätze durch den Frieden gefährdet

Allmählich verzieht sich der Morgennebel vor der Arbeitsagentur Basra: Ein verlorenes Häuflein ausgezehrter Gestalten wartet ungeduldig auf die Öffnung der Behörde. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Hoffnung, eine Arbeit zu finden, machen sich die wenigsten. „Ich komme jetzt schon die fünfte Woche“, grummelt Hamid al-Hamr, ein 28-jähriger Iraker, in seinen Vollbart und spielt gedankenversunken mit seiner Kalaschnikow, „aber bis jetzt haben sie mir noch keine Stelle anbieten können, die meiner Qualifikation entspricht.“ Mit diesem Schicksal ist der gelernte Bombenleger nicht allein. All die Männer in der Schlange werden Mühe haben, einen adäquaten Job zu finden. Eine entwürdigende Situation für die ausgewiesenen Terrorexperten, die sich nach jahrelanger Ausbildung und mit einem reichen Schatz an Berufserfahrung plötzlich auf dem Abstellgleis des irakischen Arbeitsmarkts wiederfinden – Männer ohne Perspektive, ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Nur als an diesem Morgen in der Ferne eine Detonation zu hören ist, huscht ein Lächeln der Zuversicht über ihre abgehärmten Gesichter.

Schuld an dieser fast ausweglosen Job-Misere ist der rapide fortschreitende Demokratisierungsprozess: Nach den Wahlen und der Installation einer irakischen Regierung schweigen nun schon seit mehreren Wochen die Waffen – mit zum Teil dramatischen Folgen für die betroffenen Fachkräfte. Frust und Verzweiflung prägen das Leben der nach dem befürchteten Rückzug der amerikanischen Armee aus dem Irak überflüssig gewordenen Kämpfer. Experten sprechen vom Krankheitsbild der „postexplosiven Depression“ (PED), die auch dem hartgesottensten Kämpen zu schaffen macht. „Wenn Wüstensöhne ein paar Tage nicht rumballern dürfen“, meint Professor Said al-Urqavi von der Universität Bagdad, „fällt ihnen buchstäblich die Decke auf den Kopf.“ Und das Schlimmste: Für die hochmotivierten Selbstmordattentäter ist auch ein „Suizid auf eigene Rechnung“, ein Privat-Selbstmord also, kein gangbarer Ausweg – das hohe Berufsethos dieser Profi-Killer verbietet eine derart individualistische „Lösung“ ihrer Probleme. Typisch deshalb auch die Klage des vierfachen Familienvaters Ali Hussein: „40 Jahre lang habe ich Bomben gelegt, keinen einzigen Tag war ich krank, habe Nachtschichten geschoben ohne Ende, auf Ramadangeld verzichtet – und plötzlich soll das alles nichts mehr wert sein?“ Verständlich die Wut auf eine politische Führung, die verdiente Kämpfer zum Müßiggang zwingt. Männer in der Blüte ihrer Jahre, die nur noch die Zeit totschlagen dürfen – und nichts mehr sonst.

Wer dann nach stundenlanger Warterei endlich zum Arbeitsvermittler vorgelassen wird, erlebt gleich eine böse Überraschung: Die von der irakischen Regierung kürzlich beschlossene Arbeitsmarktreform bedeutet radikale Kürzung des Arbeitslosengeldes auf null, Zwangsumschulung in gesuchte Berufe wie Verkehrspolizist oder Dattelpflücker und Vermittlung in so genannte ABC-Maßnahmen, womit Kampfmittelräumung, Minensuche oder Entsorgung atomarer Sprengköpfe gemeint ist. Für die stolzen Araber eine entwürdigende und demütigende Vorstellung, die Waffen, auf denen ihre ganze Hoffnung lag, vernichten zu müssen. Das Einzige, was die unterbezahlten Arbeitsvermittler den freigesetzten Kämpfern in ihrem angestammten Berufsfeld anbieten können, sind Minijobs als Leibwächter und Personenschützer, allerdings streng limitiert auf 400- Schuss-Basis. Sherif M. zum Beispiel konnte so als Brandberater bei der Freiwilligen Feuerwehr Mosul anheuern und hilft seitdem erfolgreich mit, Brandstifter dingfest zu machen. Ein ehrenwerter Job, bei dem Sherif seine langjährigen Erfahrungen als Brandsatz-Spezialist der al-Qaida voll ausspielen kann. Aber solche Stellen sind dünn gesät. Die einzige realistische Hoffnung, die den Betroffenen bleibt, ist der Weg in die Selbstständigkeit. Einige wenige Existenzgründer haben es der Masse der Entwaffneten vorgemacht, wie eine Ich-AG im Pulverfass Nahost funktionieren kann. Ismael, Sizar und Nasser zum Beispiel, drei Mittzwanziger aus Basra, haben der Feuerkraft ihrer Raketenwerfer abgeschworen und setzen ganz auf die Strahlkraft ihrer durchtrainierten Körper. Als Iraqi Dream Boys machen sie mittlerweile mit ihrer Strip-Show im „Alcazar Night Club“ in Bagdad Furore und planen schon ihre erste Europa-Tour. Sie schreiben eine Erfolgsgeschichte, die in der prüden arabischen Gesellschaft aber nicht allzu viele Nachfolger finden dürfte.

Beispiel zwei: Nach der Eröffnung der ersten Aldi-Ost-Filiale in Tikrit suchte das Management händeringend nach einer Schutztruppe für den von Beginn an hoffnungslos überlaufenen Discounter-Markt. Jaffer P. war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit seinen sieben Brüdern gründete er die Al-Aldi-Brigaden. Die Ruhigstellung der aufgebrachten Kundenmassen bei Ladenöffnung ist seitdem kein Thema mehr. Die Geschäftsleitung denkt schon über eine Ausweitung ihres Einsatzes nach Deutschland nach. RÜDIGER KIND