Jenseits von jedem

Briefe aus einer Welt des Authentischen: Ein Bildband gibt Einblicke in das wunderbare, unprätentiöse Werk des Hamburger Künstlers Harald Stoffers

von GERD BAUDER

Nichts an den Arbeiten des Hamburger Künstlers Harald Stoffers wirkt verstellt von Moden oder Klischees. Selbst das, was Zitat sein mag, ist eigenständig und in neue Zusammenhänge gefügt. Unmittelbarkeit spricht aus seinem Werk. Stoffers hat einen authentischen Ausdruck, eine im wahrsten Sinne des Wortes eigene Handschrift gefunden. Vielleicht, weil Stoffers autodidaktisch und fernab von Kunstkreisen tätig ist.

Das Werk des Hamburgers sind auf den ersten Blick kunstvoll gestaltete Briefe, die er nach einem festen System fertigt: Zunächst rahmt Stoffers ein Blatt Papier. Hernach zieht er mit Tusche oder Filzstift in diesen Rahmen horizontale Linien, deren Verlauf sich immer nach der zuvor gezeichneten richtet. So kommt es zu Ausbuchtungen und Wellen, es „entstehen“, wie der Kunstkritiker Jan Verwoert das nennt, „aus geschwungenen Linien ornamentale Formen“. Auf und in diese Module zeichnet Stoffers dann mit seiner Kunstschrift, einer kantig gewordenen Schreibschrift. Seine meist schwarz auf weiß getuschten Lettern erinnern an expressionistische Grafiken. Jedes einzelne Wort seiner Sätze setzt er gewissenhaft voneinander ab und rhythmisiert mittels gelegentlicher Doppelpunkte – die ein Satzende, aber auch eine Betonung andeuten können – den Text. In diesem folgt er wiederum einem relativ festen Muster, fast jeden seiner Briefe beginnt Stoffers mit der Anrede: „Liebe Mutti, ich werde ja am Donnerstag [Dienstag etc.] also die ganz gute neue grüne [braune, karierte etc.] Hose bitte anziehen …“ Darauf folgen dann Ankündigungen über den Tagesverlauf, welchen Bus er wann und mit welchem Ziel nehmen wird etc.

In diesen Zeilen, einem Nach- und Widerhall seines Autismus, geht es Stoffers indessen längst nicht mehr darum, seiner Mutter mitzuteilen, welche Hose sie ihm am folgenden Tage richten möge. Ganz im Gegenteil: Der Text, das, was Stoffers’ Zeichnung auf den ersten Blick zum Brief macht, ist tatsächlich Motiv und Zeichenvorlage. Sicher, der Künstler bezieht konkrete Sachverhalte in seinen Text ein – etwa die Farbe der Hose oder einen geänderten Fahrplan. Allein, im Mittelpunkt steht für den Vierzigjährigen eindeutig die Gestaltung. Die Verfeinerung, die Neuinterpretation und das Umspielen des immer gleichen Motivs oder Bildes, macht seine Arbeit so besonders. Der Künstler Stoffers hat sein Thema gefunden, er arbeitet längst an Variationen.

Mittlerweile mit zunehmendem Erfolg. In die Öffentlichkeit gelangten seine Briefe, an denen er nun seit gut zwanzig Jahren arbeitet, zwar erst in den letzten Jahren. Doch seit er Teil einer Hamburger Ateliergemeinschaft ist, spricht sich sein Talent herum. Mehrere Ausstellungen in der Bundesrepublik und zuletzt gar bei der „outsider art fair“ und in der Cavin-Morris Gallery in New York zeigen: Stoffers’ Handschrift vermag zu beeindrucken. Die Bilder bleiben den Betrachtern in Erinnerung. Sie berühren. Um dem steigenden Interesse an Stoffers gerecht zu werden, veröffentlicht dessen Atelierleiter Peter Heidenwag nun einen Bildband mit ausgewählten Zeichnungen des Hamburgers. „Briefe/Letters“, das dieser Tage im Revolver Verlag erscheint, vermittelt mit dreiundzwanzig Nachdrucken einen recht umfassenden Eindruck vom gegenwärtigen Stand der Stoffers’schen Zeichen-Kunst. Jenseits von postpostmoderner Selbstreferenzialität, abseits vom bunten Treiben der in crowds der Kunstszene und weit entfernt vom eingespielten Kulturbetrieb, vergewissern seine „Briefe/Letters“ den Betrachter dessen, was Kunst so magisch macht: des Wahrhaftigen in ihr.

„Briefe/Letters“. Revolver Verlag, Frankfurt am Main, Erscheinungsdatum April 2005, 25 €, Infos: www.galeriedervilla.de