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Musikfestival "Radical Riddims"Hintern zucken in Symmetrie

Dancehall, marinierte Hähnchen, Graffiti: Das Musikfestival "Radical Riddims" in Berlin wirft einen Blick auf die positiven Folgen der kulturellen Globalisierung.

So wackeln Könnerinnen mit dem Arsch: Szene aus der Doku "I'm ugly but trendy" über die brasilianische Baile-Funk-Szene. Bild: Radical Riddims

BERLIN taz | Ein Kanadier mit rotem Pepitahut, Guyabera-Bluse und Menjoubärtchen steht am Montagabend im Hof des ehemaligen Fabrikgeländes "Ritter Butzke" in Berlin-Kreuzberg. In seiner improvisierten Garküche brutzelt er Gemüse in scharfer Sojasauce mit Hähnchen. "No Ehec!", sagt er bestimmt. Die Kochutensilien hat er auf einem Fahrrad transportiert. Eine passende Szenerie für das Festival "Radical Riddims", das im "Ritter Butzke" verschiedene Aspekte des "Global Ghetto Tech" untersucht. Es geht dabei um die positiven Folgen der kulturellen Globalisierung, darum, wie Musik ohne Reibungsverluste geografische Grenzen überwindet.

Konzerte, DJ-Performances, Filme und Vorträge stehen auf dem Programm. Essen gehört selbstverständlich dazu, wie der Filmemacher Christoph Dreher, einer der Organisatoren von "Radical Riddims", erklärt. Auf Jamaika habe er den sozialen Sinn der Dancehall erst richtig verstanden, wo jung und alt gemeinsam tanzen und zwischendurch das "Jerk Chicken" genannte marinierte Hähnchen zu sich nehmen.

Auch "Radical Riddims" schiebt sein Partyprogramm näher an den Alltag und lässt den in Berlin dominanten "tune in, torn on, drop out"-Modus des Nachtlebens außer Acht. Das funktioniert auch, weil der frei werdende Platz für spontane Aktionen genutzt wird. So hat der britische Graffiti-Künstler Mode 2 extra für das Festival einen langgezogenen Raum des "Ritter Butzke" mit einem riesigen Wandgemälde aus Kreide gestaltet. Silhouetten von schwarzen Frauen und Männern sind darauf zu sehen, inmitten von Verstärkerboxen.

Sich Rhythmus und Sound dazu zu denken, fällt leicht, zumal auf kleinen Bildschirmen Musikdokumentationen zu sehen sind, etwa "Take Flight", ein Film des Brasilianers Helton Siquiera über die Footwork-Szene Chicagos. Footwork ist ein Tanzstil, bei dem die Füße im Zentrum stehen. Zum Rhythmus einer Hybridmusik aus HipHop und House lassen Tänzer ihre Beine akrobatische Bewegungen vollführen. "My legs wont let go", bekennt einer der Tänzer und führt Schrittfolgen in einem Brunnen vor.

Weltmusik 2.0 up to date

"Global Ghetto Tech" meint musikalische Hervorbringungen, die abseits der Zentren, etwa in einer Township im südafrikanischen Johannesburg, entstehen oder in einer Favela von São Paulo. Das Internet ist für dort ansässige Musiker zum Marktplatz geworden, lässt sie Tracks austauschen und Stile vermischen. Die Kommunikation mit anderen Künstlern ist beschleunigt. Digitale Produktionsweisen und elektronische Musikstile haben den Sound näher an westliche Metropolen gebracht.

Wie up to date diese "Weltmusik 2.0" klingt, beweist bei "Radical Riddim" am Samstagabend der südafrikanische Rapper Spoek Mathambo zusammen mit dem kalifornischen Musiker Challenger. Mathambo kommt ohne die machistischen Stereotype aus, die kommerziellen HipHop kennzeichnen. Seine Wortkaskaden haben Überschallgeschwindigkeit. Sofort bezieht Mathambo das Publikum in seine Performance ein. "Raba Bu Baba" heißt der Refrain, den die Zuschauer mitsingen, ihr Gesang wird zum Bett, auf dem Mathambo immer furiosere Rapsalven ausbreitet. Bald ist der ganze Saal auf den Beinen.

"Die Tanzfläche ist ein soziales Experimentierfeld", sagt die Kölner Historikerin Astrid Kusser in ihrem Vortrag über "Tanzen im Black Atlantic" am Montagabend. Es geht ihr darin um den Einfluss, den die schwarze Diaspora auf europäische Tanzmoden ausgeübt hat. Anhand von Fotos und Filmausschnitten illustriert sie, wie Weiße schon Ende des 19. Jahrhunderts auf afroamerikanische Tanzstile Bezug genommen haben. Beginnend beim "Cake Walk", der europäische Tänze karikierte und seinerseits den Gesellschaftstanz transformierte, erklärte Kusser überzeugend, wie die Symmetrie schwarzer Tänzer sich über das weiße Begehren lustig gemacht hat.

Diese Demarkationslinien sind beim Konzert von Spoek Mathambo zum Glück Geschichte. Der symmetrische Wahnsinn, den diverse Zuschauerhintern vollführen, entspricht der Dynamik von Mathambos Rapversen.

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2 Kommentare

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  • J
    jelka

    In Bezug auf obige musikalische Entwicklungen noch von Peripherie und Zentrum zu sprechen halte ich für schwierig, wenn nicht obsolet. Grundsätzlich ist das, was heute unter Namen wie (bitte lieber nicht) "Weltmusik 2.0" verhandelt wird, ohne globale Austauschprozesse und nicht zuletzt digitale Vernetzung überhaupt nicht denkbar - und diese Bewegungen laufen in viele Richtungen (rhizomatisch wenn man denn so will) und keineswegs unilateral zwischen in irgendeiner Art phantasierten Zentren und Peripherien der Musik- oder Clubcultur.

  • AL
    André Lant

    Was bitte ist hier mit "Symmetrie" gemeint?