DIE KANZLERIN MERKEL TRIFFT DEN RICHTIGEN TON – DAS REICHT NICHT
: Stil gut, Inhalt schwach

Angela Merkel hat ihre ersten Regierungstage, stilistisch betrachtet, mit Bravour absolviert. Bei Blair und Chirac wirkte sie wie jemand, der etwas zum ersten Mal tut und noch nicht weiß, ob es gut geht. Gerade dieses leicht Linkische, Unverbrauchte, die Abwesenheit von staatsmännischer Routine, ließ Angela Merkel in freundlichstem Lichte erscheinen.

Auch innenpolitisch macht Merkel Eindruck. Sie verteidigt die Zumutungen für Beamte und Rentner, für Steuersparer und künftige Eigenheimbesitzer sachlich und unzweideutig, ohne rhetorische Placebos, aber auch ohne vordergründig dramatisierende „Blut, Schweiß und Tränen“-Metaphern. Damit trifft sie, angesichts des Haushaltslochs, den richtigen Ton. Es ist kein Zufall, dass Merkel derzeit sogar bei Anhängern der Grünen und Linkspartei gute Noten bekommt. Wer sich bei allen unbeliebt macht, ist gerade deshalb beliebt. Dies ist der nur scheinbar widersinnige Effekt der Ethik des Sparens, die schon Hans Eichel anfangs zu unerwarteter Popularität verhalf.

So weit der Stil. Doch wenn man sich das politische Programm der großen Koalition anschaut, verfinstert sich das Bild abrupt. Es erschöpft sich bislang eben in – Sparen, Sparen und Sparen. Und das reicht nicht. Drastisch deutlich macht dies der Plan, die Bundessubventionen für den öffentlichen Nahverkehr zu kürzen. Das ist nicht nur ökologisch töricht. Es ist auch ein falsche Signal für den Arbeitsmarkt. Von den Arbeitnehmern unentwegt mehr Mobilität zu verlangen und gleichzeitig Züge für Pendler zu streichen, ist schlicht kopflos.

Vor allem aber hat die Merkel-Regierung bislang kein Konzept gegen die drohende negative Rückkopplung zwischen Sparen und Wirtschaftsbaisse. Seit fünf Jahren sinken die Reallöhne, die Binnenkonjunktur ist im Keller, der private Konsum wird 2006 vielleicht sogar zurückgehen. Der Merkel-Regierung ist dazu bislang nur ein Bauerntrick eingefallen – nämlich die Mehrwertsteuererhöhung auf 2007 zu verschieben und zu erwarten, dass die Deutschen sich 2006 deshalb ganz viele Autos und Computer kaufen. Das ist nichts als eine Spekulation, eine ganz dünne Hoffnung. Und zu wenig für eine neue Regierung. STEFAN REINECKE