Dauerglotzen in Echtzeit: Die längste TV-Sendung der Welt
Fünfeinhalb Tage lang wurde eine Schiffspassage im norwegischen TV übertragen – und avancierte zum Quotenhit. Die Urteile über die Sendung fallen unterschiedlich aus.
STAMSUND taz | 135 Stunden lang einem Schiff zuschauen, das die norwegische Küste entlangfährt. Wie spannend kann das sein? Die Direktübertragung "Hurtigruten – Minutt for minutt" wurde als längste Fernsehsendung der Welt angekündigt. Für NRK, das öffentlich-rechtliche Fernsehen Norwegens, wurde die Sendung ein Quotenhit. Zu Spitzenzeiten lag die Einschaltquote für den Kanal "NRK 2" bei fast 40 Prozent. Der Sender übertrug die Echtzeitshow fünfeinhalb Tage lang ununterbrochen. Insgesamt schalteten 2,8 Millionen verschiedene Norweger, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, vorübergehend ein.
Sie konnten anhand einer Bugkamera verfolgen, wie sich die "MS Nordnorge", ein Schiff der täglich zwischen Bergen und Kirkenes am Nordostende Norwegens verkehrenden "Hurtigruten"-Route, gemächlich durchs Meer pflügte. Weitere Kameras waren auf der Brücke, der Laderampe und den Aufenthaltsräumen fixiert. Außenkameras filmten die vorbeiziehende Landschaft und die Ereignisse an Ufern und Häfen.
Was da passierte, machte die Marathonsendung zum eigentlichen Ereignis. Spontan tauchten winkende und feiernde Menschen längs der gesamten Küste auf und drängten sich in die Häfen. "Ein richtiges Volksfest, wie wir es sonst nur zum Nationaltag am 17. Mai haben", begeisterte sich Programmchef Rune Møklebust. Kommunikationswissenschaftler sprachen von einem Protest der Provinz gegen das schiefe, städtisch dominierte Bild, das ansonsten die Medienberichterstattung prägt. Ein Soziologe, der von "Valium TV" sprach - "flach, sinnlos und tödlich langweilig" - wurde von Protestmails überhäuft.
Die Macher des "Hurtigruten"-Marathons gelten nun als heiße Kandidaten für Journalistenpreise ihres Landes. Und das für ein Programm, das umgerechnet auf die Minute "wohl das billigste war, das wir je produziert haben", freut sich Møklebust.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke