Sein letzter Strohhalm

PROZESS Kurz nach Weihnachten überfiel Hans-Peter G. eine Bank – um mit dem RBB zu sprechen. Dafür erhielt er nun zwei Jahre Haft auf Bewährung

Der Filialchef informierte die Polizei und servierte dem Täter einen Cappuccino

Hans-Peter G. erhebt sich, wenn er spricht. In tiefstem Bayrisch entschuldigt er sich bei dem Bankmitarbeiter, der Ende Dezember über eine Stunde lang seine Geisel gewesen war. „Das war Mist“, sagt der 68-Jährige. Dabei hatte er nicht einmal Geld verlangt: Er wollte im Fernsehen über sein Schicksal sprechen. Gestern verurteilte das Landgericht G. für die ungewöhnliche Geiselnahme zu zwei Jahren Haft auf Bewährung.

Es war einen Tag nach Weihnachten, da trank Hans-Peter G. ein Glas Weißbier, nahm eine verrostete Schreckschusspistole in die Hand, ging in der Postbankfiliale Joachimstaler Straße auf einen Angestellten zu und erklärte ihm, er meine es nicht böse, aber er müsse ihm ins Knie schießen, wenn er nicht seinen Filialleiter anrufe. Der solle ein Fernsehteam vom RBB holen, mit dem wollte G. reden.

Die Geisel tat wie geheißen. Während sein Chef die Polizei informierte, dem Täter aber die Journalisten ankündigte und obendrein noch Cappuccino servierte, erklärte Hans-Peter G. dem von ihm bedrohten Angestellten seine Lage: 18 Jahre lang habe er bei der „Treberhilfe“ als Hausmeister gearbeitet, Überstunden gemacht und auf Urlaub verzichtet. Dann versank Treberhilfe-Chef Harald Ehlert in der „Maserati-Affäre“ und musste Insolvenz anmelden.

Ab Januar 2012 habe er kein Gehalt bekommen, so G., der dies alles am Montag vor Gericht wiederholte. Manchmal habe „Maserati-Harry“ ihm einen Hunderter zugesteckt, aber das reichte nicht mal für die Miete. Er glaubte, dass ihm das Diakonische Werk, der Nachfolger der Treberhilfe, kündigen würde: Man habe ihm angedeutet, er möge Rente beantragen. Beim Sozialamt habe man ihn aber mit Verweis auf den bestehenden Arbeitsvertrag abgewiesen. Einen Gesprächstermin mit dem Diakonischen Werk ignorierte er, obwohl er bereits eine Räumungsklage für seine Wohnung erhalten hatte. Als er im Sommer im Krankenhaus lag, wurde sein Hab und Gut auf die Straße gestellt. Er sei bei einem Bekannten untergeschlüpft und habe den RBB kontaktiert. Da habe man ihm aber erklärt, der Skandal um die Treberhilfe sei nicht mehr aktuell.

Das alles teilte Hans-Peter G. dem Angestellten mit, der seinerseits überlegte, wie er seiner Lage entfliehen könnte. Er hatte die Idee, beim Filialleiter zwei Flaschen Bier zu ordern, damit die Polizei in die Beratungskabine hineinkommen könne. Vor Gericht sprach er auch davon, er habe dem Entführer mit einer Flasche auf den Kopf schlagen wollen. Das SEK kam ihm zuvor, G. wurde leicht verletzt. Ansonsten hatte er Glück: Seine Geisel empfand die Tat zwar als bedrohlich, wurde aber nicht traumatisiert. Die Richter werteten die Tat als „Augenblicksversagen“, G. habe „den letzten Strohhalm ergriffen“. Sie hoffen, dass der Angeklagte nun im Betreuten Wohnen unterkommt. Mithilfe eines Bewährungshelfers soll er eines Tages wieder an eine Wohnung und regelmäßige Einkünfte kommen. UTA EISENHARDT