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Loveparade-Doku in der ARDIm Westen nichts Neues

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wiederholt mit "Die letzte Loveparade" (23.30 Uhr, ARD) Bekanntes und weiß genau, wer die Bösen und die Guten sind.

Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller geht zum ersten Mal an die Stelle des Unglücks. Bild: WDR

Ein tragisches Ereignis jährt sich zum ersten Mal, Zeit für die Fernsehsender, an "Die letzte Loveparade" zu erinnern. Am 24. Juli 2010 waren in Duisburg 21 Menschen gestorben. Das ZDF hat gestern mit einem in der Eigenwerbung als "Doku-Fiction" bezeichneten Beitrag vorgelegt.

Die ARD sendet heute zum Beispiel Bilder von einem Müllmann, der mit seiner Hand Teelichter von einem Mauervorsprung fegt. Dazu der Off-Text: "Nach jedem Unglück wird irgendwann aufgeräumt. Es sieht wieder aus wie vorher. Nicht für alle. Nicht für die Angehörigen der Opfer. Nicht für die, die für die Loveparade verantwortlich waren. Wir wollen beide Seiten ein Jahr lang begleiten. Beim Versuch, das alles zu überstehen."

So tönt es im vertrauten penetrant-lakonischen Jargon des öffentlich-rechtlichen Magazin-Dokumentarismus à la Monitor. Das kommt nicht von ungefähr, für dieses Format hat die Autorin Eva Müller in den vergangenen Jahren viel gearbeitet, der zweite Autor Maik Bialk ist WDR-Redakteur. Beider Arbeiten haben Lob erfahren, wurden ausgezeichnet.

In ihrer Analyse der "letzten" Loveparade nun haben die Autoren nichts grundlegend Neues zu sagen: viel zu viele Menschen auf viel zu wenig Platz. Hätte man vorher wissen können, vielleicht müssen. Das mutmaßliche organisatorische Versagen wird - strafrechtlich - derzeit 16 Personen angelastet, aber für die haben sich Müller und Bialk nicht interessiert.

Schuld, Verantwortung, Moral

Ihr Blick gilt alleine Adolf Sauerland, dem vermeintlich begriffsstutzigen Bürgermeister, Rainer Schaller, dem Veranstalter mit den viel besseren PR-Beratern, und, stellvertretend für die Angehörigen der Opfer, den Eltern des verstorbenen Fabian: "Und es geht ihnen nicht um die Frage der Schuld, das sollen die Gerichte klären. Es geht ihnen darum, dass endlich jemand Verantwortung übernehmen muss. Es ist eine Frage der Moral."

So der Off-Text der Autoren, bei Fabians Vater klingt es etwas anders: "Weil er halt diese moralische Verpflichtung oder diese moralische Einstellung nicht an den Tag legt, zu wissen oder zu begreifen, dass er ganz einfach aufgrund seines Amtes wenigstens die moralische Pflicht hat, eine Schuld anzuerkennen."

Schuld, Verantwortung, Moral - wie sollen auch die trauernden Angehörigen die Begriffe auseinanderhalten, wenn es nicht einmal die Journalisten können, die sie ein Jahr begleitet haben?

Im Fall Kachelmann haben sich einige Medien angemaßt, das gerichtliche Urteil vorwegzunehmen; im Fall Loveparade wird das Strafverfahren zum bürokratischen Nebenschauplatz abqualifiziert. Alles andere hieße, den Angehörigen das Mitgefühl zu versagen. Die große und verdiente Trauer von Fabians Eltern in Szene zu setzen, mit suggestiven Bildern und bewegenden O-Tönen, Müller und Bialk machen das mit routinierter formaler Virtuosität. Der Dokumentarfilmer Harun Farocki hat den journalistischen Fernsehdokumentarismus einmal geringschätzig bezeichnet als das "Verfahren, Dokumenten den Sinn abzupressen, den man am bequemsten brauchen kann; (…) das Verfahren, Bild- und Tonmaterial entweder so aufzunehmen oder so zu organisieren, dass man nur erfahren kann, was man schon wusste." In diesem Sinne haben Müller und Bialk saubere Arbeit geleistet.

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5 Kommentare

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  • U
    U.G.

    Ich sehe das genauso wie mein Vorgänger , habe gerade erst den Fernsehbeitrag anschauen können . Einem Herr Sauerland nehme ich es nicht ab , daß es ihm leid tut , hingegen kam Herr Schaller wesentlich glaubwürdiger rüber . Wenn ich es in dem Fernsehbeitrag richtig verstanden habe , sind u.a. Angestellte der Stadt Duisburg von der Staatsanwaltschaft auf die Liste genommen worden , dann frage ich mich doch , warum nicht Herr Sauerland, er ist doch deren Vorgesetzter - oder nicht ??? Es ist auch bei Mobbing oft so , daß das vermeintliche Opfer - oft der Täter ist .

    Kann Herr Sauerland eigentlich noch morgens in den Spiegel schauen , ohne das ihm übel wird ?? Was wäre gewesen wenn eins seiner Kinder unter den Opfern gewesen wäre , wenn er als Vater sein Kind verloren hätte ?

  • IM
    IDorothea Müller

    Sehr geehrter Herr Müller,

    wir müssen zwei verschiedene Filme gesehen haben. Vielleicht waren Sie besser informiert, aber ich wusste nicht, wie sich Herr Sauerland und Herr Schaller der Verantwortung stellen und wie sie sich im Laufe des letzten Jahres entwickelt haben und wie eine Familie mit der Trauer umzugehen versucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das alles schon wussten, und wenn, warum haben Sie es dann nicht schon früher in Ihrer Zeitung so klar, einfühlsam und beeindruckend dargestellt?

    Endlich mal ein Film, der den Zuschauern die Wertungen selbst überlässt! (Ein Opfer - außer der Familie stellvertretend für andere Familien - gab es hier wahrhaftig nicht.)

    Zum Glück ist die TAZ sonst nicht so penetrant selbstgerecht.

    Mit freundlichem Gruß

    D. Müller

  • VK
    Victor Kulendik

    Den Artikel zur Sendung finde ich schwach. Wieso sollte es nicht möglich sein, von jemandem politische (!) Verantwortung zu übernehmen. Als Chef muss man meiner Meinung nach für Versäumnisse des gesamten Betriebes bzw. hier der Verwaltung gerade stehen. Fingerspitzengefühl habe ich da bei Herrn Sauerland vermisst. Um eine Schuld im Sinne einer juristischen Schuld geht es hier nicht. Ich erinnere an Herrn Seiters, der seinerzeit ohne sich schuldig gemacht zu haben, ehrenvoll zurück getreten ist. Dies war richtig.

  • H
    Harmannus

    Sauerland ist eine (tragische) Reizfigur. Er ist Mitglied der Christlich Demokratischen Union - ich schreibe es aus, damit man es sich noch einmal vor Augen halten kann - und zudem studierter Historiker und Pädagoge, der einen großen Teil seines Lebens als (Ober-)Studienrat und Familienvater gewirkt hat. Daraus muss man schließen können, dass er über christliche/ethische/moralische Grundsätze verfügt und gegenüber jungen Menschen und deren Eltern zur Emphatie fähig ist. Darüber hinaus verantwortet er das Handeln der Behörde, der er vorsteht. Und egal, welchen Verantwortungsaspekt man nun betrachtet: Sauerland hat stets versagt. Von seiner Rolle als trostspendender und anteilnehmender Stadvater einmal ganz abgesehen. Nicht die Medien und der Mob sind zur Hetzjagd gegen ihn aufgezogen: Sein eigenes Verhalten hat Empörung provoziert und die Schuldfrage erst auf ihn gelenkt. Sein eigenes Gewissen hat ihn entlarvt. Das ist mir - zugegeben - auch jetzt erst klar geworden. Maßgeblich für diese Erkenntnis war die Dokumention des ZDF zum Jahrestag. Inden sie auf sauerland fokussiert zeigt eindrucksvoll, wie groß die Kluft sein kann zwischen dem Leid der Betroffenen und der gutgläubigen Verantwortungslosigkeit, mit der insbesondere seine Behörde und vielleicht auch er selbst mit dieser Veranstaltung umgegangen sind. Wie es richtig geht, dass hatte Essen ein Jahr zuvor gezeigt. Die Doku ermahnt: Verantwortbares Handeln beinhaltet Risikoabwägung. Und dazu gehört, sich vorstellen, wie schlimm es sein, wenn der schlimmste Fall eintritt und dann zu klären, ob man diese Verantwortung tragen will. Bei Sauerland ist das offenbar anders herum abgelaufen, was zu seiner völligen Lähmung geführt haben könnte. Die andere Interpretation wäre Skrupellosigkeit - was noch schlimmer wäre.

     

    Wenn er nun ''moralische'' Verantwortung übernimmt, dann wäre zu klären, was diese bedeuten soll. Was immer er aber damit meint: es bleibt rechtlich und disziplinarisch völlig irrelevant. Jedoch bestätigt er den Eindruck, dass hier nicht alles mit ''rechten Dingen'' zugegangen ist. Er gesteht ein, dass christliche und ethische Grundsätze sowie fürsorgliche Fähigkeiten eben nicht zur Anwendung gekommen sind. Was sonst wäre daraus zu schließen? Für seinen Ausfall als Stadtvater jedenfalls wäre eine Entschuldigung ausreichend gewesen.

     

    Insofern gibt es im Westen tatsächlich nichts Neues: Alles klüngelt gewohnt vor sich hin. Aber eben das ist das Signal der Loveparade 2010, das durch Sauerland personifiziert wird. Und wir sollten uns einen solchen Umgang mit Verantwortung und Jugend nicht länger bieten lassen. Ich bin zwar nicht Bürger Duisburgs, aber ich unterstütze den Antrag zur Abwahl Sauerlands. Als Zeichen. Damit Sitte und Moral wieder einkehren. Als teil meiner moralischen Verantwortung.

  • IN
    Ihr Name Werner Hüsken

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    In diesem 'Bericht' wird Herr Sauerland dargestellt als das arme Opfer, das von den Duisburger Bürgern mit übelster Hetze gejagd wird.

    Der ARD-Bericht erweckt den Eindruck, als wenn jede Szene, jede Frage mit Herr Sauerland abgesprochen wurde.

    Die Kritiker werden als Hetzer dargestellt. Und Sauerland ist das bedauernswerte Opfer.

    Dies als Ergebis einer fast einjährigen Recherche. CUI BONO. Oder habe ich das alles falsch verstanden, und das war SATIRE?