Jagd in Naturschutzgebieten: Schwarzkittel im Visier
Der schleswig-holsteinische Landesjagdverband will auch in Naturschutzgebieten Wildschweine schießen dürfen. Weder Umweltministerium noch Naturschützer aber sehen Handlungsbedarf.
HAMBURG taz | Sie sind gedacht als Rückzugsraum für die Natur, in der Pflanzen und Tiere sich selbst überlassen werden: Naturschutzgebiete. Eine Konsequenz daraus ist für Schleswig-Holsteins organisierte Jäger ein Problem: Sie dürfen dort gar nicht jagen, oder nur unter Auflagen. Geht es aber nach der Jägerschaft, ändert sich das bald.
In der vergangenen Woche forderte der schleswig-holsteinische Jagdverband eine generelle Freigabe für das Jagen in den bisher rechtlich am stärksten abgesicherten Schutzgebieten. Und wenn man schon mal dabei ist: Die Erlaubnis, Schneisen in Naturschutzgebiete schlagen zu dürfen, wünschen sich die Jäger obendrein.
Der Hintergrund der Debatte: In Schleswig-Holstein gibt es heute erheblich mehr Wildschweine als noch vor ein paar Jahren - und die Zahl wächst munter weiter. Und die Tiere sind inzwischen nicht mehr nur im Süden des Landes unterwegs. Das Problem: Wildschweine zerstören Felder, und nicht wenige Jäger müssen gemäß ihrer Pachtverträge die Landwirte entschädigen. So jedenfalls begründet der Landesjagdverband seinen Vorstoß.
"Naturschutzgebiet" ist eine Schutzkategorie nach dem Bundesnaturschutzgesetz. Es soll Flächen für Tiere und Pflanzen schützen. Diese Flächen haben in der Regel private Eigentümer.
In Schleswig-Holstein gibt es Naturschutzgebiete seit 1923. Derzeit sind es 192 Gebiete mit einer Gesamtfläche von etwa 47.239 Hektar, das entspricht drei Prozent der Landesfläche.
Die Regeln für jedes einzelne Gebiet legen die Landesbehörden in Verordnungen fest. Sie können Landwirtschaft, Forst, Jagd und Fischerei in den Gebieten einschränken.
Besonders gut haben die Wildschweine es in Maisfeldern: Dort gibt es Nahrung und ein gutes Versteck. Und genau diese Art von Bewirtschaftung hat zugenommen in Schleswig-Holstein. Vor allem so genannter Energiemais wird verstärkt angebaut, um die Biogasanlagen zu füttern. Das Ziel des Landesjagdverbandes lautet deshalb: "Großflächig bejagen", so Sprecher Marcus Börner.
Dem aber stünden derzeit die Schutzregeln entgegen: "Wir müssen bisher in jedem Einzelfall darum ringen, Sonderlösungen zu finden", sagt Börner. Bei jedem neuen Schutzgebiet gehe das Ringen neu los. In den Maisfeldern habe man jedenfalls keine Chance gegen die Tiere. Und wenn die Felder gerade nicht bewachsen sind, dann verdrückten sich die Schweine woanders hin, zum Beispiel in angrenzende Naturschutzgebiete.
Börner sagt aber auch, dass eine Jagderlaubnis im Naturschutzgebiet nicht das einzige Mittel sei, um die Probleme der Jäger zu beheben. So würden etwa zunehmend auch Pachtverträge geschlossen, in denen keine Pflicht zur Entschädigung der Bauern durch die Jäger festgeschrieben sei.
Die Kieler Landesregierung gilt eigentlich als jägerfreundlich, doch das Umweltministerium wiegelt ab: "Eine so generelle Freigabe wird es nicht geben", sagt Sprecher Christian Seyfert. Drei Prozent der Landesfläche sind Naturschutzgebiete - da sei es nicht entscheidend für die Wildschwein-Population, ob dort gejagt werden dürfe.
Obendrein sei das Jagen gar nicht in jedem Naturschutzgebiet vollständig verboten. Entscheidend sei das jeweilige Schutzziel. Daran richten sich die individuellen Regeln aus: Soll etwa einer bedrohten Vogelart ein Refugium geboten werden, kann es erlaubt sein, deren natürliche Feinde zu bejagen.
Ministeriumssprecher Seyfert sagt aber auch: "Wo es begründete Einwände gegen die Verordnungen für einzelne Naturschutzgebiete gibt, zum Beispiel weil sich die Grundlagen überholt haben, sind wir gesprächsbereit." Und sofern es tatsächlich nur um die steigende Zahl von Wildschweinen gehe, gebe es andere Möglichkeiten, so Seyfert, dessen Ministerium auch die Landwirtschaft verantwortet: Zur Jagd auf Schwarzwild dürften Schneisen in Maisfelder geschlagen werden, ohne dass die Fläche als unbebaut gelte. Das nämlich würde die Landwirte Subventionen kosten.
Dass es zu viel Wildschweine gibt in Schleswig-Holstein, sieht auch Fritz Heydemann so, Mitglied des Nabu-Landesvorstands. Seine Lösung aber ist eine andere: Er schlägt vor, dass Jäger die Landwirte überzeugen, weniger Mais anzubauen. Vor allem in kleineren Schutzgebieten dürfe unter Auflagen gejagt werden, sagt Heydemann mit hörbarem Unbehagen. "Jagd darf nur so lange erlaubt sein, so sie den Schutzzielen des Naturschutzgebiets dient", fordert er. Der Sinn sei, Tiere und Pflanzen sich selbst zu überlassen. Die Jagd aber sei ein Eingriff - und Schneisen erst recht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“