Kolumne Die Wahrheit: Sprecher der Peinlichkeit

Niemand mag ihn, stellte der "Guardian" bedauernd fest: Labour hasst den Unterhaussprecher John Bercow, weil er ein Tory ist. Die Tories hassen ihn, weil er sie ständig verhöhnt...

...Und alle anderen hassen ihn, weil er ein eitler Selbstdarsteller ist. Übertroffen wird er darin allerdings von seiner Frau Sally, auch was die Größe betrifft: Sie überragt ihren winzigen Gatten um anderthalb Köpfe.

Die 41-Jährige ließ sich nackt, aber in ein Laken eingehüllt, neben einem Fenster fotografieren, durch das man im Hintergrund das erleuchtete Westminster-Parlament sieht. Der London Evening Standard druckte das Bild selbstverständlich auf der Titelseite ab. Doch damit nicht genug. "Seit er Sprecher ist, sind viele Frauen hinter John her", plapperte sie. "Ich bin aber nicht eifersüchtig, weil noch viel mehr Männer hinter mir her sind."

Die Unterhaussprecherfrau behauptete, die Bevölkerung sehen sie als "Carla Bruni der britischen Politik". Die Bevölkerung war überrascht, denn auf diesen Vergleich war bisher niemand gekommen. Sally Bercow findet es unheimlich geil, in der Dienstwohnung unter Big Ben zu wohnen und die Glocken läuten zu hören, erzählte sie der Zeitung. Für sie und ihren Minigatten sei das glamouröse Sprecheramt sexuell sehr anregend.

Immerhin. Politisch haben sie hingegen wenig gemein. Sally Bercow hat für Labour bei den Kommunalwahlen kandidiert und lässt keine Gelegenheit aus, sich über die Regierung lustig zu machen. Den Schatzkanzler George Osborne bezeichnete sie als geisteskrank, Premierminister David Cameron sei ein Meister im Verdrehen von Tatsachen. Die Tories raufen sich die Haare. "Sie ist gestört, vulgär und peinlich", sagte einer von ihnen. "Wir müssen die beiden unbedingt loswerden."

Vor allem John Bercow würden sie gern in die Wüste schicken. Er verzichtet auf die traditionelle Perücke, Robe und Strumpfhose, weil er sich darin lächerlich vorkäme, sagte er. Aber er schafft es auch so, sich lächerlich zu machen. Er hat die Angewohnheit, den Abgeordneten mit schriller Stimme und sarkastischem Unterton das Wort mit dem Satz abzuschneiden: "Wir sind äußerst dankbar." Neulich ging er zu weit. Bei einer Debatte mit Labour-Chef Ed Miliband würgte er Cameron gleich zweimal äußerst dankbar ab. Der Premierminister wäre vor Wut fasst geplatzt. Doch dann besann er sich und heckte einen Racheplan nach dem Vorbild Margaret Thatchers aus. Die pflegte Kollegen, die nicht unterwürfig genug waren, als Nordirland-Minister in die Krisenprovinz zu schicken, damit sie bei der täglichen Suche nach Bomben unter ihrem Auto Demut lernten.

In Nordirland herrscht inzwischen Frieden, aber seit Kurzem gibt es ein parlamentarisches Austauschprogramm mit Afghanistan. Bercow ist der Erste auf der Liste. Er muss demnächst nach Kabul, um seinem afghanischen Amtskollegen die Errungenschaften der britischen Demokratie zu erläutern. Am besten fängt er mit den Vorzügen von Spesen an. Darin kennt er sich aus: Keiner hat so hohe Abrechnungen wie Bercow.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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