"News of the World"-Journalist über Abhören: "Rebekah hat ein Pokerface"
Die "News of the World" sei eine großartige Zeitung gewesen, sagt James Alan Anslow. Er arbeitete bei dem kürzlich eingestellten Boulevardblatt und fühlt sich heute stigmatisiert.
taz: Herr Anslow, Sie haben früher bei der nun eingestellten News of the World (NotW) geschrieben.
James Alan Anslow: Und ich bin immer noch stolz darauf.
Obwohl Ihre früheren Kollegen Anrufbeantworter abhörten?
Um das klarzustellen: Es finde es schrecklich, was geschehen ist. Aber ich höre jetzt immer, dass es weit verbreitet gewesen sein soll. Das glaube ich nicht. Es waren vielleicht zwei oder drei Reporter, der Rest waren Privatdetektive. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es nach dem ersten Skandal von 2007 jemand gewagt hätte, weiterhin Handy-Anrufbeantworter abzuhören. Das wäre doch Karriere-Selbstmord gewesen.
Sie sprechen vom Skandal um Clive Goodman, den früheren Hofreporter der NotW, der die Anrufbeantworter von Prinz Williams Mitarbeitern abhörte und dafür 2007 für vier Monate ins Gefängnis ging.
hat als Journalist 28 Jahre bei den britischen Boulevardblättern The Sun und News of the World gearbeitet. Heute lehrt er an der City University in London Journalismus.
Genau. Clive ist ein guter Freund von mir.
Viele glauben, dass er nur ein Bauernopfer war, um zu vertuschen, dass auch andere Journalisten Anrufbeantworter abgehört haben und die Konzernoberen davon gewusst haben.
Ich habe lange nicht mehr mit ihm gesprochen, und er muss sich vermutlich an Schweigeklauseln halten. Aber ich kann mir vorstellen, dass er es so sieht, wie Sie sagen - dass er für andere den Kopf hingehalten hat.
Neue Details: Die britische Polizei weitet die Ermittlungen gegen die eingestellte News of the World (NotW) aus. Eine neue Sondereinheit soll untersuchen, ob die Zeitung nicht nur Telefone, sondern mit Hilfe von Trojaner-E-Mails auch Computer gehackt und ausspioniert hat. So soll der Computer eines Exgeheimagenten überwacht worden sein.
Mehr Informationen: Auf www.taz.de finden Sie ein Interview mit David Wooding. Der ehemalige Politikredakteur der NotW ist momentan arbeitslos und spricht über seine Zeit bei dem Skandalblatt. "Wir sind der Kollateralschaden", sagt Wooding.
In der Redaktion wurde nie über die Abhörmaßnahmen gesprochen?
Nein, nicht bevor die Sache mit Clive herauskam. Mir hat man überhaupt erst einmal erklären müssen, wie man einen Handy-Anrufbeantworter knackt. Es hat wohl damit zu tun, dass sie früher mit voreingestellten PIN-Nummern geschützt waren - 1234 oder 0000. Wenn eine Person den PIN-Code nicht geändert hatte, war es ein Leichtes, sie zu knacken.
Glauben Sie, dass die Chefredaktion eingeweiht war? Rebekah Brooks etwa, die zeitweise die NotW leitete und als einflussreiche Medienfrau gilt?
Als Rebekah vor den Parlamentsausschuss geladen wurde, hat sie sinngemäß ausgesagt, dass sie einem respektierten Kollegen vertraut, wenn er ihr sagt, dass er Beweise für eine Geschichte hat. Und ich bin mir sicher, dass das auch stimmt. Aber es gibt unterschiedliche Reporter mit unterschiedlichen Geschichten. Und ich weiß, dass jeder Chefredakteur eines Boulevardblattes zwei Fragen stellt, wenn ein Reporter mit einer Geschichte ankommt: Erstens - was kostet sie? Und zweitens - wo sind die Beweise?
Der jetzige Abhörskandal entzündet sich vor allem an der Tatsache, dass Milly Dowlers Mailbox abgehört worden ist, eines Mädchens, das 2002 ermordet wurde. Rebekah Brooks war in dieser Zeit die Chefredakteurin der NotW. Hätte sie bei der Milly-Dowler-Geschichte nachgefragt, welche Beweise vorliegen?
Das ist die 64.000-Euro-Frage, nicht wahr? Ich kann nur sagen, dass ich es für wahrscheinlich halte. Rebekah hat sich oft in Geschichten eingemischt. Sie war keine Chefredakteurin, die um sechs Uhr Schluss macht und in irgendein schickes Restaurant geht. Sie hat sich ums Tagesgeschäft gekümmert und in Artikel reingefuchst. Ich habe gehört, wie sie bei anderen Geschichten nachgehakt hat: Woher haben wir diesen Fakt? Wie können wir es beweisen?
Sie haben mit Rebekah Brooks früher zusammengearbeitet - was ist sie für ein Mensch?
Ich habe sie kennen gelernt, als sie noch eine junge Reporterin war. Ich habe die Blattmacherabteilung geleitet, und eines Tages kam eine Gruppe junger Journalisten zu uns und hat sich erklären lassen, wie wir arbeiten. Als die anderen gegangen sind, ist eine Frau da geblieben und hat weiter Fragen gestellt - das war Rebekah. Sie ist nicht die talentierteste Schreiberin, aber sie ist charmant, energiegeladen, ehrgeizig und eine perfekte Netzwerkerin. Und sie hat ein Pokerface. Ich konnte nie einschätzen, was sie gerade denkt.
Wie sieht es mit den Murdochs aus? Was haben sie vom Skandal gewusst?
Rupert Murdoch hat vor einem britischen Parlamentsausschuss erklärt, dass die NotW noch nicht einmal 1 Prozent seines Umsatzes ausmacht und er sich deswegen nicht darum gekümmert hat. Das kann ich nachvollziehen.
Und sein Sohn James, der das Europageschäft von NewsCorp leitet und als Nachfolger aufgebaut werden soll?
Er hat vor dem Ausschuss sinngemäß ausgesagt, dass er über das Ausmaß der Abhörmaßnahmen nicht informiert gewesen war, weil ihn seine Mitarbeiter nicht eingeweiht hatten. Letzte Woche haben Colin Myler, der letzte Chefredakteur der NotW, und Tom Crone, der Medienanwalt des Blattes, ihm öffentlich widersprochen. Und James Murdoch hat seine Aussage noch einmal bekräftigt.
Wem glauben Sie - James Murdoch oder den beiden?
Ich kenne Colin Myler nicht gut, aber ich habe jahrelang mit Tom zusammengearbeitet und ich halte ihn für einen fantastischen Zeitungsanwalt. Wenn er sagt, dass James Murdoch eingeweiht gewesen ist, dann glaube ich ihm.
Warum sind die beiden an die Presse gegangen?
Ich vermute, dass sie ihre Namen reinwaschen wollten. Sie haben wohl Angst, dass der Eindruck entsteht, dass sie allein für die Vertuschung verantwortlich waren. Außerdem ist Tom gefeuert worden. Rebekah hat vor dem Parlament gesagt, dass sie keine Zukunft mehr für ihn im Unternehmen sieht - obwohl er nicht nur für die eingestellte NotW, sondern auch für die Sun gearbeitet hat und der beste Zeitungsanwalt ist, den ich kenne. Und so jemand soll keine Zukunft mehr im Unternehmen haben? Das ist doch absurd.
Hat James Murdoch eine Zukunft bei NewsCorp?
Ich habe gelesen, dass die Aktionäre zu ihm halten. Aber die Affäre hat NewsCorp sehr geschadet. Der Konzern war gerade dabei, den Fernsehkonzern BSkyB vollständig zu übernehmen, als der Skandal ausbrach. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Regierung die Übernahme jetzt genehmigt, solange die Murdochs bei NewsCorp an der Macht bleiben. Früher sind Politiker bei ihnen aus und ein gegangen. Jetzt kann sich niemand mehr mit ihnen sehen lassen.
Also hat der Skandal auch Gutes bewirkt?
Für Großbritannien als Ganzes wird er heilsam sein. Politiker und Medienbosse werden wieder etwas mehr Abstand zueinander halten. Die Polizei wird ihre Aufgabe wieder besser erledigen. Die Kehrseite ist, dass eine große Zeitung, die einst für ihre Investigativrecherchen bekannt war, nun verschwunden ist - und das in einer Zeit, in der es den Printmedien ohnehin schon schlecht geht.
Was ist mit Ihren ehemaligen Kollegen? Schämen die sich heute, bei der NotW gearbeitet zu haben?
Viele haben jetzt das Gefühl, dass ihnen ein Stigma anhaftet. Ein ehemaliger Kollege hat sich vor Kurzem bei einem neuen Job beworben. Als er ins Büro getreten ist, hatte er das Gefühl, dass ihn alle vorwurfsvoll anstarren. Viele sind besorgt, dass sie keine Stelle mehr finden.
Und Sie persönlich?
Ich habe fast mein gesamtes Arbeitsleben dort verbracht. Rebekah hat mir ein schmeichelhaftes Zeugnis geschrieben. Das alles ist jetzt beschmutzt worden, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber wissen Sie was - wenn ich die Leute auf der Straße frage, dann höre ich oft den Satz, dass sie die NotW vermissen. Ich glaube, es war eine großartige Zeitung.
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