MICHAEL BRAUN ÜBER DIE WAHLEN IN ITALIEN
: Gegen die Wand

Grillos Wählern ist Stabilität egal: Die Krise hat ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen

In drei Worten lässt sich das Votum der italienischen Wähler zusammenfassen: Verzweiflung, Wut, Ausweglosigkeit. Genauso wie Fatih Akins Filmheld sahen sie keine andere Lösung als den Crash. Die Protestliste Beppe Grillos, die „Fünf-Sterne-Bewegung“, ist mit 25 Prozent zur stärksten Partei im Land geworden. Etwa 55 Prozent stimmten in einem der proeuropäischsten Länder der EU gegen Europa. Gegen dieses Europa wenigstens, gegen das Europa der Austerität, gegen das Europa der Brüsseler Diktate, kurz: gegen das Merkel-Europa.

Dabei schien in den Umfragen seit Monaten alles klar. Nicht berauschend, aber mit einem eindeutigen Vorsprung vor der Berlusconi-Rechten sollte Pierluigi Bersani, Chef der Partito Democratico, die Wahlen gewinnen. Im schlimmsten Fall, so die Erwartungen, wäre er im zweiten Haus des Parlaments, im Senat, auf die Unterstützung des scheidenden Premiers Mario Monti angewiesen. Merkels Europa? Am Ende auf der sicheren Seite, so die Erwartungen. Und die Protestwähler? Grillo wurden 15 Prozent zugetraut, mehr nicht. Am Ende aber kam es völlig anders.

Zuerst und vor allem hat Pierluigi Bersanis Mitte-links-Allianz die Wahlen gegen die Wand gefahren. Bersani darf ein historisches Resultat für sich beanspruchen. Im Abgeordnetenhaus heimst er dank eines absurden Wahlrechts 340 der 630 Sitze ein, hat damit die absolute Mehrheit – und ist doch der größte Verlierer dieser Wahl. Nicht einmal 30 Prozent der Wähler stimmten für sein Wahlbündnis, gerade 25,4 Prozent für seine Partito Democratico (PD). Vor fünf Jahren erhielt die PD allein noch 33 Prozent.

Im Senat führt dieses mehr als bescheidene Resultat zum Patt: Gerade einmal 120 der 315 Sitze kann die PD verbuchen. Auch mit Mario Montis trüber Truppe von 18 Senatoren ist die absolute Mehrheit von 158 Sitzen weit entfernt, die Bildung einer stabilen Regierung damit ausgeschlossen.

Die Ursachen für diese Pleite muss die PD vor allem bei sich selbst suchen. Noch vor zwei Monaten lag sie in Umfragen bei 35 Prozent. Wenige Wochen reichten, um dieses Kapital zu verspielen. Die PD zeigte sich als Partei, die das Handwerk einfach nicht beherrscht: Nach parteiinternen Vorwahlen verfügte sie über eine enorme Datenbasis von sympathisierenden Wählern – und machte nichts daraus. Die ersten Mails zur Wahl trudelten erst vor zehn Tagen bei den Sympathisanten ein.

Auch politisch gab sich die Partei krisengrau. Sie sorgte sich vor allem, in Europa als italienischer Stabilitätsanker wahrgenommen zu werden – die Wähler hätte es wohl eher gefreut, wenn sie in Italien als beherzte Kämpferin für eine Wende weg von der europäischen „Stabilitätspolitik“ aufgetreten wäre. Nicht ein einziger konkreter Vorschlag der Partei, wie das Los ihrer Wähler zu bessern wäre, blieb bei ihnen hängen.

Hängen blieb dagegen beim schmerzfreien Kern der rechten Wählerschaft Berlusconis Vorschlag, er werde die Grundsteuer nicht bloß abschaffen, sondern auch die schon für 2012 geleisteten Zahlungen zurückerstatten und es ansonsten „der Merkel“ zeigen. Gegen die Wand: Diesem Teil der Wählerschaft sind weitergehende Perspektiven für das Land einigermaßen fremd, moralische Erwägungen über ihren Spitzenkandidaten, über ihr politisches Personal ziemlich gleichgültig, kleine finanzielle Vorteile in der großen Krise dagegen ausschlaggebend.

Gegen die Wand: Dieses Motto gilt aber auch, in ganz anderem Sinne, für die Wähler der stärksten Partei Italiens, für die aus dem Nichts auf über 25 Prozent gekommene „Fünf-Sterne-Bewegung“. Wutwähler, denen oft genug das Wasser bis zum Hals steht, die mit Arbeitsplatzverlust, mit der Pleite des kleinen Geschäfts, mit drückender Steuerlast zu kämpfen haben. Solchen Wählern sind „europäische Stabilitätskriterien“ völlig egal: Ihrer eigenen Stabilität hat die Krise sowieso schon den Boden unter den Füßen weggezogen.

Gegen die Wand: Diese Schicksal droht nun nicht nur Italien, sondern auch der Eurozone. Italien steht vor einem politischen Patt, eine stabile Regierung ist nicht in Sicht. Wenigstens diese Lektion sollte auch in Berlin beherzigt werden: Demokratische Mehrheiten für eine in tiefe Rezession führende Sparpolitik sind kaum zu haben. Entweder Europa steuert um – oder es fährt gegen die Wand.

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