„Als würde einem die Welt gehören“

KONGO Wer sind die Männer, die mit unbeschreiblicher Brutalität kongolesische Frauen misshandeln, vergewaltigen und töten? Bonerge Kiunga sagt von sich selbst: „Ich habe im Blut gebadet“. Deutsche Psychologen haben in Goma Hunderte solcher Täter befragt

■ Nach dem neuen regionalen Friedensabkommen für die Demokratische Republik Kongo, das elf afrikanische Länder am Sonntag in Äthiopien unterzeichneten, hat eine Debate um neue Eingreiftruppen im Ostkongo eingesetzt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon schlug am Montag dem UN-Sicherheitsrat die Entsendung einer „schnellen Eingreiftruppe“ vor. Im Gespräch sind Soldaten aus Südafrika, Tansania und Mosambik.

■ Neue Kämpfe im Ostkongo haben die Lage seit Unterzeichnung des Abkommens eher verschlechtert. Bei Gefechten zwischen Fraktionen der Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März) starben mindestens 10 Menschen. Viele Zivilisten fliehen, Ugandas Armee ist an der Grenze aufmarschiert. Die M23 ist an dem Abkommen nicht beteiligt und fürchtet, dass ihre eigenen Friedensgespräche mit Kongos Regierung gegenstandslos werden. (d.j.)

AUS GOMA SIMONE SCHLINDWEIN

Bonerge Kiunga sieht jünger aus, als er ist. In den Augen des 19-Jährigen lauert ein Blick, der verrät, dass er viel durchgemacht hat. „Ich habe in Blut gebadet, neben Leichen geschlafen“, beginnt Kiunga zu erzählen.

Der Jugendliche sitzt in einer Berufsschule in Goma, Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Direktor Pascal Zagabe hat ihn herbeigerufen: Seine Lebensgeschichte sei typisch für die eines kongolesischen Vergewaltigungstäters.

Geboren wurde Kiunga tief im Dschungel, in der Region Walikale rund 200 Kilometer westlich von Goma, wo seit zwanzig Jahren verschiedene Milizen das Sagen haben. Bereits in seiner Kindheit, erzählt er, wurde sein Dorf regelmäßig von der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) heimgesucht. Immer wieder musste die Familie fliehen. Der Vater wurde getötet, die Mutter habe er auf der Flucht verloren, sagt er. Eine Schule besuchte er nie „Dann kam Cheka und hat gesagt, wir können die Kolonisation durch die Ruander nicht länger dulden“, erzählt Kiunga. „Ich habe mich als 16-Jähriger seiner Miliz angeschlossen“.

Cheka war über mehrere Jahre Anführer einer lokalen Miliz, genannt Mayi-Mayi, die sich in Walikale der FDLR entgegenstellte. Die Cheka-Miliz wurde im Sommer 2010 durch Massenvergewaltigungen in einer Reihe kleiner Dörfer bei Luvungi in der Region weltweit bekannt. Nach langen Kämpfen waren FDLR-Rebellen und Mayi-Mayi-Kämpfer über Frauen, Mädchen, Großmütter und sogar Männer in über 13 Dörfern hergefallen. 387 Vergewaltigungen wurden in vier Tagen begangen. Einer der Täter: Kiunga, damals 17.

„Nach den Kämpfen braucht man einfach Sex“, erklärt er das heute. Er berichtet von natürlichen Drogen, die ihm sein Kommandeur eingeflößt habe. „Damit fühlt man sich, als würde einem die Welt gehören“, nickt er und gibt zu, dass die Substanz sexuell erregend wirke. „Man hat uns eingebläut, man sei nur unverwundbar, wenn man keine Frau anfasse, sonst würde die Wirkung verfliegen.“ Sobald der Feind jedoch geschlagen war, „gerät man außer Kontrolle“.

Über 200 demobilisierte jugendliche Bürgerkriegskämpfer wie Kiunga sind in Goma von deutschen Psychologen der Universität Konstanz systematisch befragt worden – als Teil einer Studie, die demnächst von einem Projekt der Weltbank herausgegeben wird. Die Untersuchung, teils mit mehrmonatiger Gesprächstherapie, ist die erste systematische Erforschung der Frage, warum diese Männer im Krieg vergewaltigen. „Es hat mich überrascht, wie gut es möglich ist, mit diesen Männern offen über ihre Taten zu reden“, berichtet Tobias Hecker, der über 100 Täter befragt hat.

Nirgends auf der Welt wird so systematisch im Krieg vergewaltigt wie im Kongo. Eine 2010 von nordamerikanischen Wissenschaftlern durchgeführte Umfrage besagt: Knapp 40 Prozent der Frauen im Ostkongo sind Opfer sexueller Gewalt gewesen. Davon wurden 60 Prozent von Bewaffneten misshandelt.

Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe ist ein Kriegsverbrechen, das weltweit vor Gericht verhandelt wird, von Stuttgart bis Den Haag. Doch was heißt das konkret, und wieso geschieht dies im Kongo so systematisch und mit so extrem brutaler Gewalt? Für diese Frage gab es bisher keine wissenschaftliche Erklärung.

Die Berufsschule in Goma, wo Kiunga jetzt studiert, ist einer der Orte, wo die Gespräche der deutschen Psychologen stattfanden. Hier werden vor allem Kriegsversehrte betreut, in der Regel Jugendliche, sagt der Direktor: misshandelte Mädchen und eben auch Täter.

Im Innenhof hocken knapp hundert junge Frauen und Männer zum Einführungsunterricht zusammen. Das Ausbildungsjahr hat gerade begonnen. Viele sind erst seit einer Woche da. Die meisten hätten keine Familien, sagt Zagabe: „Am Anfang haben sie schwere Probleme. Sie können dem Unterricht nicht folgen, können nicht schlafen, sind aggressiv und nehmen Drogen.“

Aussagen wie die von Kiunga haben auch die deutschen Psychologen in ihren Gesprächen oft gehört. Aus ihren Untersuchungen haben sie grob drei Erklärungsmuster für die Vergewaltigungen herausgefiltert.

Wichtig sei die eigene Vorerfahrung, meist als Kindersoldaten wie Kiunga: 85 Prozent der Täter sind selbst Opfer von Gewalt geworden. 12 Prozent wurden sexuell missbraucht, meist von ihren Kommandanten. 73 Prozent wurden gezwungen, Gewalt an anderen auszuüben. 63 Prozent berichten, die Vorgesetzten hätten mit Tötung gedroht, wenn sie andere nicht schlagen. „Alle Täter sind gleichzeitig auch Opfer“, erklärt Hecker.

Zudem werden die jungen Rekruten von ihren Vorgesetzten gezwungen, grausame Dinge zu tum: 8 Prozent berichten, dass sie Menschenfleisch gegessen haben, 26 Prozent wurden Augenzeuge von Kannibalismus. Dies sind Extrembeispiele. Allgemein, so Hecker, lässt sich sagen: „Das Training in einer bewaffneten Gruppe führt dazu, dass die Kämpfer eine Schwelle überwinden, jenseits derer dann Gewalt nicht nur Pflicht ist, sondern Spaß macht und ein Mittel ist, Dominanz auszuüben.“ Dann sei die Ausübung von Gewalt „ein Kick, der süchtig macht“.

Gruppendruck, nicht Lust

„Das Training in einer bewaffneten Gruppe führt dazu, dass die Kämpfer eine Schwelle überwinden, jenseits derer dann Gewalt nicht nur Pflicht ist, sondern Spaß macht“

PSYCHOLOGE TOBIAS HECKER

Die Psychologen beschäftigten sich auch mit einem weiteren Phänomen: Gruppenvergewaltigung. „Das hat nichts mit Lust zu tun, sondern mit Gruppendruck“, erklärt Hecker. Und es sei extrem brutal. Wer vor den Augen der Kameraden keine Erektion bekomme, geht eben anders vor. Frauen werden auch mit Stöcken, Gewehrläufen oder gar Macheten vergewaltigt. „Die Motivation dabei ist die Angst vor dem Gesichtsverlust.“

Die Täterstudie gibt auch Hinweise auf Befehle zur systematischen Vergewaltigung. 27 Prozent der befragten Täter gibt zu, dass Vergewaltigungen auf Anweisung geschehen. Nur so lassen sich die 387 sexuellen Misshandlungen innerhalb von vier Tagen in den Dörfern von Walikale im Sommer 2010 erklären: Die rivalisierenden Mayi-Mayi- und FDLR-Milizen vergewaltigten jeweils die Frauen des Gegners.

Recherchen der taz ergaben damals, dass sich FDLR-Kämpfer dort systematisch an allen Mädchen und auch Großmüttern vergingen, um die Familien der Mayi-Mayi-Kommandeure zu bestrafen, die aus diesen Dörfern stammten. Kiunga berichtet, wie aufgebracht sein Vorgesetzter Mayele war, als er erfuhr, dass seine Tochter und Frau vergewaltigt worden waren. „Er befahl uns zur Rache, ihm die Frauen der FDLR zu bringen“, erzählt Kiunga. Diese Vergewaltigungen waren ganz klar politisch motiviert, eine Kriegswaffe gegen den Feind, meist eine andere Ethnie.

Professor Thomas Elbert von der Universität Konstanz, der die Täter-Studie angeregt hat, zieht jetzt folgende Schlüsse: Es sei wichtig zu verstehen, dass Massenvergewaltigungen im Kongo nicht kulturell bedingt sind. Diese These ist in der Öffentlichkeit weit verbreitet und wurde auch in einer Studie aufgestellt, die das südafrikanische Netzwerk Sonke Gender Justice veröffentlichte. In einer im Oktober 2012 durchgeführten Umfrage stellten die Südafrikaner fest, dass jeder dritte Mann im Kongo – also nicht nur Bewaffnete – mindestens einmal sexuelle Übergriffe begangen hat. Die Schlussfolgerung: Sexuelle Gewalt sei kulturell verankert.

Elbert widerspricht: Es gebe bei Kongolesen kein „Vergewaltigungs-Gen“, sondern die extreme sexuelle Gewalt sei Folge des Zusammenbruchs der Staatsgewalt, gepaart mit Straflosigkeit. „Die Gesellschaft gerät schlichtweg außer Rand und Band.“

Kiunga soll nun in einer Therapie lernen, wie er mit seinen Aggressionen und seiner Lust umgehen kann. Bereits zweimal sei er aus der Berufsschule geflohen, um sich wieder seinen Kameraden anzuschließen, erzählt er. Als Zivilist fühlte er sich klein und schwach: „Irgendetwas hat mir gefehlt“, nuschelt er. Doch er kam wieder zurück. „Jetzt habe ich entschieden, ich will Mechaniker werden“, sagt er. Und lächelt zum ersten Mal.