Leeres Museum: Keine Kunst ohne Halle

Nach dem fast dreijährigem Umbau ist die Raumluft der Bremer Kunsthalle zu staubig für empfindliche Kunst. Die Neueröffnung an diesem Wochenende huldigt daher dem Motto "Architektur pur".

Wie sie sehen, sehen Sie ... Wände - ganz hinten die bisherige Außenmauer der nun erweiterten Bremer Kunsthalle. Die Kunst kommt später. Bild: dpa

BREMEN taz | Wulf Herzogenrath ist am Ziel. Er musste seine Pensionierung verschieben, Regierungswechsel abwarten und die Ergebnisse eines bereits 2005 europaweit ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs in der Schublade liegen lassen. Aber jetzt - am Samstag - kann der langjährige Direktor die "neue Kunsthalle Bremen" eröffnen. "Das ist viel mehr als ein Anbau", sagt Herzogenrath glücklich. Durch die preisgekrönte "Bäckchen-Lösung" des Berliner Büros Hufnagel, Pütz, Rafaelian, bei der zwei Seitenflügel die ursprüngliche Symmetrie des klassizistischen Altbaus von 1849 wieder herstellen, entstehe nichts weniger als eine neue Institution.

Seit Herzogenraths Amtsantritt vor 17 Jahren hat sich die Kunsthalle in die "Champions League" der deutschen Ausstellungshäuser hochgearbeitet. Mit klug konzipierten Publikumsmagneten wie den "Blauen Reitern", Van Gogh und zuletzt Paula Modersohn-Becker zog das Haus jeweils bis zu 320.000 BesucherInnen an. Dass man zum Klassenerhalt eine neue Infrastruktur benötige, die nicht zuletzt die Sicherheitsstandards von Versicherern und internationalen Leihgebern befriedige, war das Mantra, mit dem Herzogenrath unermüdlich für Um- und Anbau warb.

Einziges Privatmuseum

Den entscheidenden Stich machte Herzogenrath freilich mit dem Trumpf privater Mittel: Zehn Millionen Euro wollte die Kunsthalle selbst aufbringen, ein Drittel der zunächst veranschlagten 30 Millionen Euro, deren weitere Drittel von der Stadt und Bernd Neumann übernommen werden, dem aus Bremen stammenden Staatsminister für Kultur. Die kaufmännisch geprägten Bremer Mäzene investieren traditionell am liebsten in bildende Kunst. In Gegensatz zu flüchtiger Musik beispielsweise investiert man damit ja in bleibende Werte. So war es schon 1823, als sich in Bremen einer der ersten Kunstvereine Deutschlands gründete - heute ist das Haus das bundesweit einzige Museum mit einer umfangreichen Kunstsammlung des 14. bis 21. Jahrhunderts, das unverändert in privater Trägerschaft ist.

Rüstungsprofit kein Thema

Der Bremer Kunstverein hat rund 7.000 Mitglieder - "mehr als die Bremer SPD", wie Herzogenrath gern betont. Und einige von ihnen haben ziemlich viel Geld: Der zehn Millionen-Anteil der Kunsthalle wurde im Wesentlichen von den Familien Hollweg und Lürssen finanziert. Dass letztere ihr Vermögen unter anderem mit dem Bau von Kriegsschiffen verdient - vorigen Monat geriet das von Kanzlerin Merkel eingefädelte Marine-Geschäft mit Angola bundesweit in die Schlagzeilen - ist in Bremen kein Thema. In den 80ern hingegen, als der Senat noch große Rüstungskonversionsprogramme auflegte, hätte es um die gerade vorgenommene Benennung des Ostanbaus als "Lürssen-Flügel" wohl erbitterte Diskussionen gegeben.

Rechnung ohne den Wirt

Der Kunstverein muss mit seinen potenten Mitgliedern pfleglich umgehen, sie werden immer wieder zum Ausgleich unerwarteter Kostensteigerungen gebraucht. Schon, um im März 2009 den ersten Spatenstich zur "neuen Kunsthalle" zu ermöglichen, war ein erster ungeplanter Zuschuss von 725.000 Euro fällig: Da dem Pächter des alten Kunsthallen-Restaurants zu spät gekündigt worden war, die Rechnung also wortwörtlich ohne den Wirt gemacht wurde, ließ sich dieser nur durch eine großzügige Abfindung davon abbringen, den Baubeginn noch länger zu blockieren.

Als weiterer unerwarteter Kostentreiber erwies sich nach Angaben von Gerhard Harder, einem ehemaligen Chef der Bremer Stadtwerke, der jetzt im Vorstand des Kunstvereins für Baufragen zuständig ist, die Sanierung des Altbaus. Dessen gesamte Infrastruktur wurde ausgetauscht, Raum für dringend benötigte Depots, Restaurierungswerkstätten, eine witterungsunabhängige Anliefer-Schleuse und die Museumspädagogik geschaffen. Dabei habe man den technischen Innovationsbedarf "unterschätzt", sagt Harder.

Immerhin wurde auch für zusätzliches Gutes Geld ausgegeben: So für eine auf Erdwärme basierende Energieanlage, deren Pumpe durch Solarzellen auf dem Dach angetrieben wird.

Unterm Strich, resümiert Harder gelassen, habe die Kostenentwicklung keineswegs "Elbphilharmonie-Dramatik". Die "vorhersehbaren Mehrkosten" von sechs bis sieben Millionen Euro übernehme "zunächst einmal" der Kunstverein. Auch die deutliche Dehnung des Bau-Zeitplans auf zwei dreiviertel Jahre bereitet dem Kunstverein offenbar keine Bauchschmerzen.

Da trotz mehrmaliger Verlängerung bis zur allerletzten Minute noch gebaut wird, ist die geplante große Eröffnungsausstellung, eine Munch-Schau, auf Oktober verschoben. Auch die Hängung der ständigen Ausstellungen und die Füllung der neuen Depots muss warten: Noch ist viel zu viel Staub in der Raumluft, als dass man die die 2.000 Gemälde und 230.000 Papierwerke der Sammlung ins Gebäude bringen könnte.

Meisterhafter Übergang

Aus dieser Not macht die Kunsthalle eine Tugend: "Architektur pur" lautet das Motto, unter dem ab Samstag die "neue Kunsthalle" besichtigt werden kann. Und in der Tat ist es ausgesprochen reizvoll, in der vollkommenen Leere der Räume die überaus ansprechenden Proportionen der diversifizierten Baukörper zu erleben. Als Meisterleistung von Hufnagel, Pütz, Rafaelian kann der Übergang zwischen Alt- und Anbauten gelten. Die Architekten lassen dem klassizistischen Ursprungsbau reichlich und vor allem in völler Höhe Luft, indem sie den aus auf Hochglanz geschliffenen Betonwerkstein bestehenden Neubau lediglich durch punktuelle Tragekonstruktionen ansetzen. So wird die reichverzierte Sandsteinfassade der ehemaligen Außenmauer zu prägnanter Indoor-Architektur.

Einen Tort haben die Architekten dem Altbau allerdings doch angetan: Um Platz zu schaffen und weil es der Intention der allerersten Raumkonzeption von 1849 entspräche, haben sie die Rotunde dicht gemacht: Einen großen, brüstungsbewehrten Durchlass zwischen Eingangshalle und erstem Stock, der die Besucher seit 1902 mit Blickachsen zu den oberen Ausstellungsräumen empfing. Das wird bei den BesucherInnen der Wiedereröffnung für mehr Befremden sorgen als das Fehlen der Kunst.

Staubresistente Kunst

Drei staubresistente Kunstwerke gibt es immerhin doch schon, die die nackten Mauern beleben: Zunächst Pipilotti Rists ebenso großflächige wie farbenprächtige Videoinstallation "Ruhig durch die Wände", aber auch ein kleines Loch im Mauerwerk, das der Bremer Künstler Wolfgang Hainke als Zukunftsarchiv bezeichnet: Ab Samstag können die Besucher den dahinter liegenden Schacht mit Zetteln jeder Art füllen - nicht abgeschickten Liebesbriefen, ausgelesenen Comics oder sonstigen Erinnerungsstücken. In 68.579 Tagen - ebenso lang liegt die Gründung des Kunstvereins zurück - soll der Schacht geöffnet werden.

Die Sterne der Antipoden

Ebenfalls fest zur neuen Kunsthalle gehört eine alle Stockwerke bis zum Dach durchlaufende ovale Röhre, die sich bei gutem Wetter nach oben öffnet. Schaut man hingegen nach unten, sieht man ein Stück Sternenhimmel auf der entgegensetzten Seite des Erdballs: Der US-amerikanische Lichtkünstler hat die Himmelslichter nordwestlich von Neuseeland fixiert - die vom 23. Juni 1961, als die Bremer Kunsthalle nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs erstmals wiedereröffnet wurde. 50 Jahre später hat sie eine neue Dimension erhalten.

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