der rechte rand
: SS-Männer im Altersheim

Wegschauen geht nicht: 25 Prozent mehr Neonazis haben die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr gezählt. Für die taz nord beobachtet Andreas Speit den rechten Rand. Kontinuierlich.

Und wieder ist einer davongekommen. Mit dem Tod des ehemaligen SS-Unterführers Hans Friedrichs am 9. November dieses Jahres seien die Ermittlungen hinfällig, teilte die Staatsanwaltschaft Göttingen mit. Ausgelöst worden waren sie durch ein BBC-Interview im Februar, in dem der ehemalige SS-Mann erzählte, dass er an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine beteiligt gewesen sei. Allein im Winter 1942 tötete die SS-Infanteriebrigade, der er angehörte, 387.000 „Juden und Partisanen“. Mitleid? „Nein“, sagte er, „dazu ist mein Hass den Juden gegenüber zu groß.“

Noch unter den Lebenden dagegen ist Gerhard Sommer aus Hamburg, dessen SS-Einheit im August 1944 560 Einwohner des italienischen Dorfes St‘Anna ermordete. „In einem Stall wurden 70 Menschen, Kinder Frauen und alte Leute zusammengepfercht. Kaum waren sie eingeschlossen, warfen die Nazis Handgranaten rein“, berichtet Enio Mancini vom „Verein der Opfer von St‘Anna“.

Dennoch ist gegen Sommer und die anderen Beschuldigten bisher keine Anklage erhoben worden. „Die Zeit wird knapp“, sagt Kurt Schrimm, Leiter der „Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg, die die Vorermittlungen im „Fall St‘Anna di Stazzema“ geführt hat. Das große Sterben der Täter habe längst begonnen, die Ermittlungen müssten darum beschleunigt werden, wolle man die Opfer nicht weiter missachten.

„Die Beschuldigten könnten wegen des hohen Alters vor Eröffnung eines möglichen Gerichtsverfahren sterben“, weiß auch eine Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft Stuttgart. Dennoch sei keine Anklageerhebung gegen die 15 SS-Männer absehbar. Zwar hat das Militärtribunal in La Spezia im Juni 2005 zehn der Beschuldigten wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, doch das beeindruckt die Stuttgarter Staatsanwälte kaum. „Die Mordmerkmale wie Grausamkeit müssen dem Einzelnen nachgewiesen werden“, sagte der ermittelnde Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler der taz.

Den Mangel an konkreter Tatbeteiligung hätten die Aussagen vor dem Tribunal widerlegt, hält Enio Mancini vom „Verein der Opfer von St‘Anna“ dagegen. Der Meinung ist auch das „Hamburger Aktionsbündnis“, das am Samstag zu einer Demonstration in Hamburg-Volksdorf aufrief. Seit Wochen führt das Bündnis Aktionen bei der dortigen CURA Seniorenwohnanlage durch, wo der ehemalige SS-Mann Sommer mit seiner Frau den Lebensabend genießt. „Zehn Jahre lang verschleppen mittlerweile deutsche Behörden das Verfahren“, erklärte ein Bündnissprecher. Mit den Aktionen wolle man die Anwohner darüber aufklären, „dass ein Mörder unter ihnen lebt“.

In der noblen Seniorenanlage selbst gehen die Meinungen der 90 Bewohner zu Sommer auseinander. „Wir wussten nicht wer er war, als wir den Vertrag abschlossen“, erklärt der Leiter der Anlage. Manche Damen wollten „nichts von ‚der Geschichte‘ wissen“, sagt er, manche Herren „lieber einfach das Vergangene vergessen“. Einige setzen sich aber auch mit der Vergangenheit auseinander. Um den Frieden nicht zu stören, bleibe Sommer von sich aus den Hausveranstaltungen fern.

Sommer sei „ein Gentlemen“, meint eine Bewohnerin der Anlage. Eine andere ergänzt: „und immer sehr zuvorkommend“. Das Betreuungspersonal ist bei der Frage gespalten. Nicht alle möchten den ehemaligen SSler betreuen, der betont, ein „absolut reines Gewissen zu haben“. Wenn der Dienstplan es zuließe, würden die Bedenken berücksichtigt, sagt der Leiter der Anlage. Solange keine Verurteilung in Deutschland erfolge, dürfe Sommer aber wohnen bleiben.