Vietnamesische Regierung verhängt Verbot: Hanois widersprüchliche Proteste
Wochenlang hat die vietnamesische Regierung die nationalistischen Proteste gegen chinesische Gebietsansprüche toleriert. Jetzt nicht mehr.
BERLIN taz | Zehnmal hat die kommunistische Führung in Hanoi seit Juni öffentliche Demonstrationen gegen umstrittene chinesische Gebietsansprüche erlaubt. An den im Einparteienstaat seltenen Protesten nahmen jeweils bis zu 300 Menschen friedlich teil. Doch dreimal wurden die Proteste auch verboten: Zweimal im Juli nach Gesprächen von Vertretern Hanois und Pekings und zuletzt am vergangenen Wochenende.
Da lautete die Begründung, die Demos würden von "Oppositionskräften" in- und außerhalb des Landes genutzt, um gegen die Regierung zu mobilisieren und "die nationale Einheit" zu spalten. Deshalb würde die Regierung "notwendige Maßnahmen" ergreifen.
Das vom Volkskomitee der Stadt Hanoi verhängte Verbot war am vergangenen Donnerstag im KP-Blatt Hanoi Moi veröffentlicht worden. Am Sonntag versammelten sich dennoch rund 50 Demonstranten an dem bei Touristen wie Einheimischen gleichermaßen beliebten Hoan-Kiem-See im Zentrum der Hauptstadt. Als sie anfingen, antichinesische Parolen zu rufen, wurden sie laut Augenzeugen von Zivilpolizisten in Busse gezerrt und weggefahren.
Am Montag berichtete Hanoi Moi, 50 Personen seien festgenommen worden. 39 seien inzwischen wieder frei, die anderen wegen "Störung der Ordnung" weiter in Gewahrsam.
Noch am Freitag hatten 25 Semiprominente, darunter ein Exgeneral und ein früherer Vizeminister, in einer im Internet verbreiteten Erklärung die Proteste als Zeichen von "gutem Patriotismus" verteidigt und eine Verbindung zu Regimekritikern im Ausland verneint. "Es ist sehr interessant, dass das offizielle Verbot zwar ein Siegel trug, aber keinerlei Unterschrift. Man fragt sich, ob es da eine Uneinigkeit in der vietnamesischen Regierung gibt", bemerkt Phil Robertson, Asienexperte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
"Großes patriotisches Interesse"
Nadja Charaby, die in Hanoi das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung leitet, beobachtet in Vietnam nach eigenen Worten eine ausgeprägte Debatte über den Umgang mit China wie den USA. Entsprechend gebe es prochinesische und proamerikanische KP-Fraktionen. Doch sei der widersprüchliche Umgang mit den Demos kein Zeichen von Uneinigkeit in der Führung. Die Zulassung begrenzter Proteste sei ein Ventil der Regierung, um Druck abzulassen. "Die Demos zeigen das große patriotische Interesse in der Bevölkerung," so Charaby.
Die Demonstranten kämen aus der Mitte der Gesellschaft, offen regimekritische Kräfte seien nicht darunter. "Bei Transparenten und Parolen wirken die Proteste gelenkt", so Charaby. Das neuerliche Verbot erklärt sie sich damit, dass die KP das Ventil nicht zu weit aufmachen und auch signalisieren wolle, dass sie die Außenpolitik im Griff habe. Eine wachsende Angst der KP vor einem "arabischen Frühling" sieht sie nicht. Das innenpolitische Klima sei wegen des Parteitags zu Jahresbeginn schon angespannt gewesen: "Facebook ist hier schon eine Weile eingeschränkt."
Ironischerweise gehen Hanoi und Peking mit nationalistischen Protesten ähnlich um. Als 1999 im Kosovo-Krieg die USA Chinas Botschaft in Belgrad bombardierten oder als 2001 vor Hainan ein chinesischer Abfangjäger bei der Kollision mit einem US-Spionageflugzeug abstürzte, durften Nationalisten vor der US-Botschaft protestieren. Nach einigen Tagen schloss Peking wieder dieses Ventil.
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