„Ich will überzeugter von mir sein“

Sarah Kuttner

„Es klingt zwar schön und schlau, wenn man sagt: Ich zweifle jeden Tag an mir. Es fetzt aber echt nicht. Im Grunde habe ich keine Ahnung, ob ich diesen Job gut mache, weil vieles letztlich Geschmackssache ist“

Die große dunkle Sonnenbrille erfüllt ihren Zweck. Man erkennt sie nicht gleich. Doch als die zierliche junge Frau den Mund aufmacht, ist klar, wer vor einem steht, dass sie vor einem steht: „Hallo, ich bin Sarah.“ Frau Kuttner nennt sie wohl nur ihr Steuerberater. Sarah Kuttner, 26, arbeitet in der Duz-Branche schlechthin. Gegenwehr zwecklos! Seltsam nur, dass ihre Show nach dem Umzug von Viva zu MTV im September ausgerechnet ihren Nachnamen trägt: „Kuttner.“ Der Punkt dahinter müsste eigentlich ein Ausrufezeichen sein, denn Sarah redet ohne Punkt und Komma. Ihre schnoddrige Berliner Art hat auch die taz gespalten: Von „Zum Gutfinden“ bis „Die Witzezerstörerin“ reichten die Beurteilungen.

INTERVIEW DAVID DENK
UND FELIX LEE

taz: Sarah, wie beginnt man ein Gespräch über Langeweile?

Sarah Kuttner: So schon mal nicht Jungs. Ihr seid die Interviewer und stellt Fragen. Ich kann mich ausnahmsweise mal fallen lassen und antworte, gebe aber keine guten Ratschläge.

Na gut. Über dich ist bereits eine Menge geschrieben worden. Jeder hat eine Meinung von dir. Du giltst als frech, kokett, polarisierend – langweilt dich das nicht?

Tierisch. Aber was soll sonst noch über mich geschrieben werden? Ich bin halt noch nicht in die Dritte Welt gereist und habe kleine schwarze Kinder gerettet oder den Himalaja durchquert. Ich arbeite seit vier Jahren im Musikfernsehen. Viel mehr gibt es über mich nicht zu erzählen.

Wird vielleicht einfach grundsätzlich zu viel geredet?

Wär famos, wenn ich das sagen würde, oder?

Zumindest alles andere als langweilig.

Aber nein, ich rede ja selbst gerne. Ich bin schon an diversen Herren gescheitert, weil ich das Gespräch zu offensiv gesucht habe.

Wird Schweigen zum Luxus, wenn man in Interviews immer das Gleiche erzählen soll?

Es gibt Ausnahmen. Neulich hatte ich ein ganz tolles Telefoninterview. Wir haben uns mehr als eine Stunde über Liebe unterhalten, über Freundschaften – all diesen Privatkram also. Erschienen ist dann aber nur eine langweilige Meldung.

Was ist denn für dich das Gegenteil von Langeweile?

Unterhaltung. Das heißt aber nicht, dass Clowns um mich rumhüpfen müssen oder was in die Luft fliegen muss.

Wann hast du dich zuletzt gut unterhalten gefühlt?

Neulich war Johannes B. Kerner bei mir zu Gast, dem wir natürlich ein Hotelzimmer gebucht haben. Er wollte es aber nicht und ist lieber gleich wieder nach Hause gefahren. Das Zimmer ließ sich allerdings nicht mehr stornieren. Also bin ich mit der Redaktion in dieses teure und stylishe Zimmer eingezogen, wir haben zusammengesessen, uns unterhalten – und im Hintergrund lief Kerner im Fernsehen. Da fühlte ich mich sehr gut aufgehoben.

Warum?

Weil es so ein blöder Kinderspaß war. Wir waren irgendwie süß an diesem Abend.

Wie lange dauerte der Spaß?

Anderthalb Stunden.

Ziemlich kurz.

Nun hört mal. Nach anderthalb Stunden ist ein Hotelzimmer wirklich durch. Der Fernseher hatte einen beschissenen Ton. Also sind wir tanzen gegangen.

Partys assoziiert man schon eher mit deinem Job. Aber Hotelzimmer-Sit-ins?

Ich habe eben andere Bedürfnisse, als von Gala zu Gala zu hopsen. Ich suche zwischenmenschliche Momente, bei denen nicht so viele oberflächliche Leute um mich rumschwirren. Zum Beispiel finde ich Smalltalk ganz furchtbar. Ich kann das nicht. Inzwischen habe ich diese Art der Konversation aufgegeben und sage einfach: „Ich muss mal aufs Klo.“ Und bin weg.

Aber die vielen Stars in deiner Show haben doch sicherlich auch hinter der Kamera viel Spannendes zu erzählen?

So engen Kontakt pflege ich mit den meisten nicht. Sie sind meine Studiogäste, und ich mache meinen Job.

Der dich verschlossener gemacht hat?

Schon, aber nur gegenüber fremden Menschen, die ich nicht wirklich brauche. Gegenüber meinen Freunden nicht. An die habe ich sehr hohe Ansprüche. Ich habe sie alle lieb und bin gerne für sie da. Im Gegenzug möchte ich, dass sie natürlich auch für mich da sind. Ich möchte trösten und getröstet werden. Ich muss aber nicht mit jedem befreundet sein, dem ich begegne.

Bist du etwa arrogant? Abgehoben?

Ich finde nicht. Schließlich halte ich mich ja für nichts Besseres als andere. Ich finde es nur unheimlich anstrengend, dauernd neue Leute kennen lernen zu müssen. Dazu bin ich zu faul. Meine freie Zeit verbringe ich lieber mit Freunden, die mir etwas bedeuten und mit denen ich ganz selbstverständlich an vertraute Gespräche anknüpfen kann.

Was langweilt dich an anderen Menschen?

Wenn Leute nicht witzig sind oder meinen Humor nicht teilen. Das ist nicht schlimm, aber ich kann eben nicht aus Höflichkeit lachen. Unter Freunden haben wir deshalb inzwischen Geheimzeichen ausgemacht, die wir uns auf Partys machen, wenn einer von uns mal nicht aus einem Gespräch herauskommt. Ich kann ja nicht bei jedem Gespräch aufs Klo rennen. In der Regel kommt dann meine Freundin und sagt: „Sarah, ich muss unbedingt mit dir einen Drink holen.“ Das klappt meistens.

Die meisten Leute, mit denen du zu tun hast, langweilen dich also?

So habe ich das nicht gesagt. Das wäre zu einfach. Es gibt Leute, die man beim Ausgehen kennen lernt und die dann sagen: „Hey, du bist doch Sarah Kuttner. Dich finde ich super.“ Allein deswegen muss man da schon freundlich sein, weil es bezaubernd und mutig ist, einen Promi anzusprechen. Nichts ist schlimmer als Leute, die mit dem Finger auf dich zeigen, aber keinen Ton von sich geben. Eine andere Sorte Mensch, mit der ich zu tun habe, sind Leute von Plattenfirmen. Die sind zwar auch nett. Aber da reicht mir der ganze Businessteil, dann kann man hinterher noch ein bisschen quatschen. Aber dann ist auch gut.

Das klingt sehr rigoros.

Ich bin einfach nicht der Action-Mensch, für den mich viele halten. Natürlich finde ich mich selbst auch interessant. Man kann mit mir reden. Ich bin witzig. Aber am wohlsten fühle ich mich unter Freunden, in der Beziehung oder bei meiner Familie. Ich kann Samstage zu zweit oder dritt bei Ikea verbringen und danach einen Hot Dog essen. Das finde ich romantisch. Oder wenn eine Zahnbürste in meinem Becher steht, die nicht von mir ist. Aber ständig auf Partys herumhängen und koksen – das mache ich nicht.

Es muss ja nicht gleich Koks sein. Was ist mit anderen Drogen? Alkohol?

Mag ich nicht. Mit 17 oder 18 habe ich mir mal die Kante gegeben. Das hat mir gereicht. Alkohol macht aber durchaus alles interessanter und bleibenswerter. Wer nicht trinkt, langweilt sich schneller. Ich tanze auch nicht oft, sondern stehe lieber rum und schaue mir die Menschen an. Ich gehe also schon ganz gern aus, aber ein Partymädchen bin ich nicht.

Bist du nicht im falschen Geschäft?

Quatsch. Das eine ist mein Job. Deswegen muss ich privat noch lange nicht auf Tischen tanzen. Ich war nie Punk und habe nie gegen Wände gepisst. Aus Prinzip gegen das Establishment zu sein finde ich dumm. Ich wasche mich total gerne und hasse Krümel im Bett.

Du passt also ganz gut nach Prenzlauer Berg.

Stimmt. Prenzlauer Berg ist ein bisschen so wie ich, eine schöne Mischung. Da wohnen durchaus lässige Menschen, die es aber gerne sauber haben.

Hast du dich deswegen in einem Interview als „langweiligsten Menschen der Welt“ bezeichnet?

Ich habe das ein einziges Mal in dem eben genannten Party-Zusammenhang gesagt. Und schon schreiben das alle.

Eine kokette Selbstinszenierung?

Nein, die Wahrheit. Ich hasse zum Beispiel auch Veränderungen. Wenn ich in den Urlaub fahre, finde ich am ersten Tag immer alles doof, weil mir alles so fremd ist. Mann, das klingt spießig. Vielleicht bin ich nicht nur langweilig, sondern spießig.

Willst du dich so von deinem Vater, dem bekannten Radiomoderator Jürgen Kuttner, abgrenzen?

Nein, abgrenzen will und muss ich mich nicht. Da sind wir einfach zu unterschiedlich. Und Papa ist ja auch kein Crazy-Party-Mädchen. Wir sind einfach nur normal. Ich fürchte, das gilt als langweilig.

Sicher? Schließlich verdient er sein Geld auch mit dem losen Mundwerk.

Ganz sicher.

Schaust du dir deine Sendungen später noch mal an?

Selten. Einfach deshalb, weil mir ständig irgendwelche Fehler auffallen würden. Wenn ich aus meiner Sendung herausgehe, habe ich meistens ein ganz gutes Gespür dafür, ob die Show gut war oder nicht. Würde ich mir die Show ansehen, fiele mir zusätzlich dazu noch eitler Kleinkram auf, und das würde mich nur unnötig hemmen.

Fragst du deine Freunde, wie’s war?

Auch nicht. Entweder sie sagen’s mir von allein oder eben nicht. Danach fragen finde ich eigenartig.

Woher weißt du dann, ob du gut warst?

Ich habe da eben ein Gefühl für. Aber im Grunde habe ich keine Ahnung, ob ich diesen Job gut mache, weil vieles letztlich Geschmackssache ist. Ich weiß nur, dass ich das Handwerk ganz gut beherrsche. Das merke ich zum Beispiel, wenn ich kurz vor der Sendung geweint habe und trotzdem eine Minute später lächelnd ins Studio gehen kann.

Nervt das nicht, so auf sich selbst gestellt zu sein?

Es klingt zwar schön und schlau, wenn man sagt: Ich zweifle jeden Tag an mir. Es fetzt aber echt nicht. Ich möchte manchmal ein bisschen überzeugter von mir sein.

Könnte dabei konstruktive Kritik von anderen nicht helfen?

Was ist, wenn Leute genau die Punkte anzweifeln, die ich zur Abwechslung mal gut an mir finde? Davon abgesehen verbiete ich doch niemandem Kritik. Ich bitte nur auch nicht darum. Man sagt mir schon, wie man mich findet. Die Medien kritisieren, meine Redaktion kritisiert. Dann gibt es noch die Quoten und meinen Programmchef.

Und wenn die Quote stimmt, du aber keine Lust mehr hast?

Davor habe ich Angst.

Und dann?

Weiß ich nicht. Viele Leute fragen mich: Wo siehst du dich in fünf Jahren? Keine Ahnung. Ich kann immer nur bis morgen denken. Wenn ich jetzt anfange, große Pläne zu machen, konzentriere ich mich nicht mehr mit Leidenschaft auf das, was ich jetzt mache. Ich sehe mich schon weiterhin eher als Moderatorin. Manchmal denke ich, vielleicht sollte ich eine Talk-Sendung machen. Aber dann müsste ich mit dem Quatschmachen aufhören. Das will ich nicht.