die wahrheit: Dame, Chinesin, Deutscher, Spion
Im vergangenen Jahr wurde einem deutschen Ingenieur von seiner deutschen Firma gekündigt, weil er eine Chinesin geheiratet hatte...
I m vergangenen Jahr wurde einem deutschen Ingenieur von seiner deutschen Firma gekündigt, weil er eine Chinesin geheiratet hatte. Auch das Arbeitsgericht befand die Kündigung sei zu Recht erfolgt, da eine solche Ehe ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Firma berge. Vor zwei Wochen wurde dieses Urteil zwar vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit der Begründung wieder aufgehoben, es sei nicht "mit dem Grundrecht auf Freiheit zur Eheschließung vereinbar".
Doch das Gericht wusste offenbar nicht, was es tat. Denn schließlich weiß ja praktisch jeder Mensch, dass alle Chinesinnen und Chinesen, die Deutsche geheiratet haben, nichts weiter sind als Agenten der chinesischen Regierung. Und nicht bloß das. Auch die deutschen Ehepartner sind dazu angehalten, für China zu spionieren. So berichte selbstverständlich auch ich dem chinesischen Geheimdienst. Oder glaubt jemand, dass ich vom Honorar dieser Kolumne leben kann?
Wenn ich allerdings in der nächsten Woche nach einem mehrmonatigen Deutschlandaufenthalt wieder nach Peking zurückkehre, ist meine dicke Spionagekladde nicht besonders gut gefüllt. Meine Aufgabe ist es nämlich, von den Veränderungen zu berichten, die sich in Deutschland seit meinem letzten Aufenthalt vollzogen haben. Und da war leider nicht viel. Okay, man ist nunmehr in großem Maßstab dazu übergegangen, die deutschen Innenstädte endzuverschandeln, indem man auch historische Gebäude mit dicken Wärmedämmplatten verpackt.
Dagegen herrscht auf dem Land offenbar ein anderes Regime, das die flächendeckende Verbreitung von Kreisverkehren zwingend vorschreibt. Außerdem habe ich festgestellt, dass inzwischen dreißig Prozent meiner mir bekannten Altersgenossen in prekären Verhältnissen leben, worüber man aber nur mit den Schultern zuckt.
Notiert habe ich mir auch die neuen Science-Fiction-Uniformen der Berliner Polizei mit ihren Base-Caps. Man hofft hier offenbar, irgendwie hipper rüberzukommen. Da der Uniform-Inhalt aber oft noch anachronistisch ist, wirkt der gemeine Ordnungshüter jetzt etwa so wie ein Trauer tragender Pornostar auf der Beerdigung Martin Walsers oder so ähnlich.
Auch toll: Die Partei "Die Grünen" ist 2011 vollends verrückt geworden ("Renate kämpft"), und das ganze Land wird praktisch nur noch von Frauen regiert. Das ändert jedoch nichts am Land. Nur Junggesellinnenabschiede - offenbar eine Krankheit aus Amerika - scheinen obligatorisch geworden zu sein. Berlin dagegen heißt jetzt "Motel One", und seit ein paar Jahren müssen alle Kinder ein Fahrrad fahren, auf dem "Puky" steht.
Das ist auch schon alles, was in diesem Jahr in meinem Rapport steht. Ich glaube kaum, dass das für eine Gehaltserhöhung reichen wird. Darum lassen Sie sich doch bitte bis zu meinem nächsten Deutschlandaufenthalt etwas einfallen, damit ich auch mal wieder was Richtiges zum Spionieren habe. Ganz ehrlich: Gehen Ihnen die Verhältnisse hierzulande nicht zusehends auf den Keks?
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