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"Schoah"-Debatte in FrankreichKatastrophe und Vergleich

In Frankreich will man den Begriff "Schoah" durch Vernichtung ersetzen. Wird damit die Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen relativiert?

Vernichtungslager Auschwitz. Bild: reuters

Götz Alys neues Buch, "Warum die Deutschen? Warum die Juden?", enthält eine These, die nicht neu, aber wichtig ist: "Das Wort Holocaust verbirgt, was Deutsche anrichteten."

Das griechische Wort holókaustos bedeutet "völlig verbrannt" und bezieht sich auf den Kult mit Tieropfern. Die Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische erzeugte dieses Wort für den Opferbrauch. Martin Luthers Bibelübersetzung verdeutschte holókaustos mit "Brandopfer" und übertrug es auf Menschenopfer.

Doch der biblisch-theologische Blick auf den Kult mit Opfertieren hat mit nationalsozialistischen Verbrechen nichts gemein. Abraham wird von Gott auf die Probe gestellt mit dem Befehl, den Sohn zu opfern wie ein Tier. Die Nazis mordeten aus rassistischen Gründen. Trotz dieser Differenz bürgerte sich nach dem Hollywoodfilm "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiß" (1979) weltweit der Begriff "Holocaust" ein.

Bis in die 1980er Jahre versuchten Historiker und Politikwissenschaftler, den Begriff "Holocaust" nicht nur für die Einzigartigkeit der Naziverbrechen, sondern auch für deren "Unvergleichbarkeit" zu instrumentalisieren. Die Verbrechen der Nazis sollten so der diskursiven Erörterung und dem historischen Vergleich entzogen und in eine metaphysische Sphäre entrückt werden.

Aus diesem Grund wollte Claude Lanzmann seinem Film "Shoa" (1985) zunächst gar keinen Titel geben. Solche exzentrischen Theologisierungsversuche spielen in der wissenschaftlichen Diskussion heute keine Rolle mehr.

Anéantissement

Das hebräische Wort "Schoa" wurde aber durch Lanzmanns Film gebräuchlich. "Schoa" kann mit "Unheil" oder "Katastrophe" übersetzt werden. Und damit entsteht ein brisantes geschichtspolitisches Problem. Die Palästinenser bezeichnen nämlich ihre Vertreibung und die israelische Staatsgründung von 1948 mit an-nakba ("Katastrophe", "Unglück").

Darüber ist in Frankreich ein Streit entbrannt. Das Pariser Erziehungsministerium gab bekannt, der Begriff "Shoa" sollte in den Geschichtsbüchern durch anéantissement ("Vernichtung") ersetzt werden. Dagegen polemisierte Lanzmann mit dem anachronistischen Hinweis auf "die Einzigartigkeit" ("lunicité") des Verbrechens, das durch Vergleiche banalisiert werde. Auch für Raul Hilberg (1926-2007) ist "die Vernichtung der Juden […] ein historisches Novum".

Das Neue bedeutet aber nicht, dass die Vernichtung in jeder Hinsicht einzigartig oder gar unvergleichbar wäre. Etwas zu vergleichen, meint nicht, es automatisch mit anderem gleichzusetzen.

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5 Kommentare

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  • BA
    bitte anonym

    Warum wird uns allen staendig ein Bild einer fuerchterlichen Katastrophe vor Augen gefuehrt, sodass wir ' zurueckschauen ' sollen ?

    Steht in der Bibel, der Torah, dem Koran denn nicht ein Metaphorisches Beispiel, bei welchen der Herrgott Abraham, Lot und deren Ehefrauen sagte sie sollen ' nicht ' zurueckschauen wenn sie Sodom und Gomorrah verlassen, denn sonst werden sie zu einer Salzsaeule ?

     

    Eine Salzsaeule ist eine Allegorie, wie auch in Arabischen, Persischen, wie auch Lateinischer ' Prose ', eine Person beschreibt die sich nur an Trauma erinnert, und durch diese Trauer des ' weinens' zu einer Salzsaeule ( traenen sind salzhaltig) wird, und daher nicht forwaerts gehen kann, also in die Zukunft, und starr auf dem selben Fleck bleibt; daher Saeule, da es sich nicht bewegen kann.

     

    Warum also weiterhin Menschen die es auf allen Seiten ueberlebten ein Bild voller Grausamkeiten vorfuehren, um sie weiterhin an ihr Trauma zu erinnern - ist das nicht ein wenig sadistisch ?

     

    Und...gegen ' Gottes ' Gebot ?

  • ML
    marie lefebvre

    Verehrter Herr Walter,

     

    Ihren informativen Artikel habe ich mit Interesse gelesen, und sicher verdient die französische Debatte eine Rezeption und Diskussion in Deutschland. Unverständlich bleibt Ihr letzter Absatz bzw. Ihr Kommentar. Wenn ein Vergleich bedeutet, a=b zu setzen und dann die Differenzen herauszuarbeiten, beinhaltet der Vergleich bereits die Gleichsetzung. Gleichsetzungen (oder Vergleiche) der Vernichtung der Juden durch Nazideutschland mit anderen Genoziden dienen entweder einer Verharmlosung des einen oder der Aufwertung der Schrecklichkeit des anderen, wobei beides in der Regel miteinander verbunden ist und die Gleichsetzung deshalb i.d.R. revisionistische Züge aufweist. Nichts spricht dagegen, Ähnlichkeiten und Parallelen herauszustellen, und wenn Sie das meinen, bin ich d'accord, aber ohne eine entsprechende Präzisierung redet der Schluss Ihres Artikels einem unangenehmen Revisionismus das Wort.

     

    Hochachtungsvoll,

    Marie Lefebvre

  • C
    Carsten

    »There's no business like Shoa business.«

    (Gilad Atzmon)

  • E
    end.the.occupation

    >> Und damit entsteht ein brisantes geschichtspolitisches Problem. Die Palästinenser bezeichnen nämlich ihre Vertreibung und die israelische Staatsgründung von 1948 mit an-nakba ("Katastrophe", "Unglück").

     

    Soll man ob solchen Schwachsinns Weinen oder Lachen?

     

    Warum verbieten wir dann nicht - wie von der Rechten in Israel gefordert - die Erinnerung an die nakba? In der Zensur der nakba Ausstellung der Libanonhilfe sind wir doch schon recht geübt - oder?

     

    Und - warum nicht gleich auch noch ein Markenrecht auf Schoah oder Holocaust vergeben?

     

    Gott ist das lächerlich.

  • B
    Bernd

    Wie ich aus gut informierten Kreisen der Islamischen Republik Iran gehört habe gab es doch gar keine Judenvernichtung. Ich kann mir garnicht vorstellen das die Muslime dort lügen.