Macbeth in der Maschinenhalle: Ruhrtriennale goes Zen
Der belgische Theaterregisseur Luk Perceval inszeniert bei der Ruhrtriennale Shakespeares "Macbeth" mit viel Mut zur Leere und Stille.
"Urmomente" lautet das übergreifende Motto der Ruhrtriennale, seit Willy Decker 2009 die Leitung des Edel-Festivals im Ruhrgebiet verantwortet. Nichts Geringeres als die Erforschung der Verbindungen von Kunst und Spiritualität hat man sich vorgenommen. Ein ambitioniertes, gleichwohl riskantes Ansinnen. Nach dem Judentum und dem Islam steht nun in diesem letzten Jahr unter Deckers Ägide der Buddhismus an. Nachdem die letzte Spielzeit, die um den Islam kreiste, allerhand Merkwürdiges, prätentiös Raunendes und Verquastes hervorbrachte, stand zu befürchten, dass das Buddhismus-Thema nun vollends ins Esoterische abdriften könnte.
Nach den ersten beiden Festival-Neuproduktionen kann jedoch Entwarnung gegeben werden: Die Eröffnungspremiere in der Bochumer Jahrhunderthalle mit Richard Wagners "Tristan und Isolde" in der Regie des Intendanten war ein Ereignis radikaler Vereinfachung und Reduktion, eine spannungsreiche Verdichtung, bei der jeder Schritt zum Ereignis wurde.
Kirill Petrenko steuerte aus dem Orchestergraben zu den Bildern, die auf weißer Bühne im Nirgendwo des Weltall zu schweben schienen, kammermusikalisch gestraffte Klangfluten bei und riskierte das Äußerste: den Mut zur Leere, zur Stille.
Leere und Stille sind auch für Luk Perceval der Schlüssel für sein hochwirksames "Macbeth"-Konzentrat in der auratischen Halle der Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck, die Annette Kurz zu einer atemberaubenden Installation gemacht hat: Vor der Front der Rundbogenfenster sind mehr als hundert Tische übereinander gestapelt, Gläser und Flaschen scheinen Überbleibsel eines Gelages, auf dem Boden verstreut liegen unzählige Kriegerstiefel, Zeugnisse der Schlachten, die Macbeth bestritt.
Durch die Fenster zeichnet anfangs das Abendrot lange Schatten, später bestrahlt fahles Scheinwerferlicht die endzeitliche Szenerie.
Obwohl der Abend mit nicht einmal zwei Stunden Spieldauer überraschend kurz ist, nimmt Perceval sich unendlich viel Zeit. Das gelingt ihm, weil er Thomas Braschs kantige Übersetzung eingedampft hat auf einen Textrumpf, der seine Bruchstücke nur widerstrebend, manchmal fast unzusammenhängend preisgibt.
Flüsternde Monstren
Die Schauspieler tragen Mikroports, die allgegenwärtigen Stimmen scheinen oft flüsternd aus dem Off zu kommen, sodass man den Eindruck hat, den Shakespeareschen Monstren beim Denken zuzuhören. Bei Perceval sind es versehrte Monstren, vom Leben beschädigte, traumatisierte, angstgesteuerte Geschöpfe, in deren Inneren es so lange wütet, bis die Gewalt sich Bahn bricht.
Und das tut sie - wiederum überraschend für Perceval, der für seine plakative Drastik bekannt ist - ganz unspektakulär, ohne Theaterblut, ohne Waffen, ohne sichtbare Kämpfe. Wenn Duncan ermordet wird, tut es bloß einen dumpfen Schlag, alle weiteren Gemetzel finden irgendwo abseits der Bühne statt, einmal wird ein bisschen Rotwein vergossen, das muss reichen als Konkretion.
Wenn aber Macbeth der tote Banquo erscheint, hebt in der Halle ein grollendes Dröhnen an, das selbst die hoch aufragende Zuschauertribüne erbeben und die neun lediglich mit Rapunzel-Haar umflorten stummen Tänzerinnen-Hexen in konvulsivische Zuckungen verfallen lässt. So fühlt sich Angst an.
Ein nicht gelebtes Leben
Eine kleine Ewigkeit lang steht Bruno Cathomas Macbeth zu Beginn auf einer Stelle, spricht erst gar nicht, dann stockend, leise, innerlich bebend. Maja Schöne als Lady Macbeth stöckelt mit Tangoschritten im Cocktailkleid heran, gurrt mit eisiger Stimme, zischt dem traurigen Gatten die fatalen Karrierebefehle ins Ohr, fordert den gesellschaftlichen Aufstieg als Rache für nicht gelebtes Leben. Denn das gemeinsame Kind starb einst - eine Textstelle, die sonst wenig beachtet wird - und der traumatisierte Kriegsheimkehrer Macbeth ist - auch davon spricht der Text deutlich - impotent.
Daher also der unbändige Hass des Paares auf die Welt, der totbringende Neid auf Nachkommenschaft im Bewusstsein der eigenen Kinderlosigkeit, die als die eigene, hoffnungslose Endlichkeit empfunden wird. Das Rätsel des mörderischen Paares löst Perceval mit dieser Einsicht auf verblüffende, suggestiv einleuchtende Weise.
Den Mut zur Leere, zur Stille kann man unschwer zurückführen auf buddhistisches Denken, das dem praktizierenden Buddhisten Perceval geläufig ist. Die Trauma-Analyse der fatalen Paar-Konstellation jedoch wäre ohne Freud nicht denkbar.
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