Kolumne Press-Schlag: Der Mann im Tor? Ist ziemlich wurscht!

Ausgerechnet im ehemals stolzen Land der Weltklassetorhüter fragt man sich plötzlich: Geht es nicht auch ohne? Auch für den Keeper ist es neu, dass er nicht gebraucht wird.

"Es war ein toller Abend." Manuel Neuer hat das gesagt nach dem 6:2 gegen Österreich. Das Spiel hat er allerdings nicht gemeint. An dem war er nur am Rande beteiligt. Er war heilfroh darüber, dass die Zuschauer in Gelsenkirchen, ihn, den Herzensschalker, der zum FC Bayern gewechselt ist, nicht ausgepfiffen haben. "Glücklich" sei er darüber, hat er gesagt und ist gut gelaunt in den Mannschaftsbus gestiegen. Am nächsten Morgen hat er dann erfahren, dass er nicht mit nach Polen fliegen muss. Der Bundestrainer gönnt seiner Nummer eins eine Auszeit.

Dabei, möchte man meinen, hatte er im Spiel gegen Österreich eigentlich genug Auszeiten. Hätten ihn sein Mitspieler nicht ab und zu in den Spielaufbau mit einbezogen, er wäre ganz ohne Ballkontakt geblieben. Die zwei Gegentreffer hätte er eh nicht erwischen können.

Dass die Österreicher überhaupt zwei Tore geschossen haben, war bemerkenswert. Ein trauriger Kollege vom Österreichischen Rundfunk fragte nach dem Spiel Bastian Schweinsteiger, ob ihm denn nicht irgendetwas Positives zum Auftritt der Gäste einfalle. "Sie hatten drei Torchancen und zwei Tore gemacht", tröstete Schweinsteiger, "das ist doch schon mal nicht schlecht."

Für Torhüter aber ist das gar nicht gut. Sie machen nichts falsch und können in den Einzelbewertungen der großen Sportteile doch nicht über eine Drei hinauskommen. Das Leben ist aber härter als die Schule: Da bekommt man eine Eins, wenn man nichts falsch gemacht hat.

Doch das kann einen wie Neuer nicht deprimieren. Es ist das Los eines Torwarts. Das kennt er. Was jedoch neu ist für einen Nationalmannschaftskeeper, ist die Erkenntnis, dass er eigentlich nicht gebraucht wird. Als der DFB vermeldete, dass Neuer in Polen nicht dabei sein wird, da hätte sich niemand gewundert, wenn der Verband dazu noch mitgeteilt hätte, Joachim Löw plane im Test gegen den EM-Gastgeber, ganz ohne Torhüter zu spielen.

Deutschland ist nicht länger das Land der Keeper. Die Torwartdiskussionen, die die Sportnation über Jahre in Atem hielten, werden bald ersterben. Und kopfschüttelnd wird man sich bald daran erinnern, dass vor dem Spiel gegen Österreich über die Besetzung der zweiten Ersatztorhüterposition gestritten wurde.

Bittere Erkenntnis

Dabei spielt die Nationalmannschaft längst so, dass es sogar ziemlich wurscht ist, wer die Nummer eins im deutschen Tor ist. Das ist die bittere Erkenntnis für Neuer aus Spielen wie denen gegen Österreich.

Auch an der schwindenden Bedeutung des Torhüters im deutschen Spiel lässt sich ablesen, wie sehr sich der deutsche Nationalmannschaftsfußball in den letzten fünf Jahren verändert hat. Das DFB-Team gewinnt, weil es mehr Tore schießt als die Gegner, nicht weil der Torhüter besonders viele Treffer verhindert.

Sogar wenn Brasilien zweimal trifft, macht das nichts. Dass in der Zukunft noch ein ehemaliger Torhüter als Experte im Fernsehen die Spiele der deutschen Nationalmannschaft analysieren wird, ist vor diesem Hintergrund kaum mehr vorstellbar. Mit der Note Drei schafft man es nach der Karriere sicherlich nicht ins deutsche Fernsehen. Auch wenn man keinen Fehler macht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.