Schwimmende Grazien

„Hakoah – Club der Sirenen“ erzählt vom verkorksten Umgang mit der Vergangenheit (22.30 Uhr, Arte)

Er war einer der größten Sportvereine Europas. Juden in Wien gründeten ihn 1909, weil sie wegen eines „Arierparagraphen“ nicht mehr in den anderen Vereinen spielen durften. Der Name: Hakoah, Hebräisch für „Kraft“. Die Fußballer von Hakoah waren die ersten, die England auf englischem Boden schlugen, mit 5:0 im Jahr 1919. Hakoah wurde, modern gesprochen, zu einer Art „Label“, inklusive Starkult. Dazu trugen besonders die Schwimmerinnen bei, die international Siege sammelten – zumindest bis zum Anschluss Österreichs an Nazideutschland. Danach bauten sich die Frauen in verschiedenen Ländern eine neue Existenz auf.

Drei Jahre arbeitete der New Yorker Filmemacher Yaron Zilberman an seinem Film „Hakoah – Club der Sirenen“. Seine Idee war: Die Schwimmerinnen sollten sich treffen – um nach all den Jahren im historischen Amalienbad in Wien wieder gemeinsam zu schwimmen. Es hat geklappt.

Zilberman nimmt die Zuschauer an die Hand und lässt sie Stück für Stück erleben, wie das Projekt Wirklichkeit wird. Am Anfang sieht man, wie die alten Damen mit fragenden Gesichtern am Tisch sitzen, während Zilberman mit ihnen die Wien-Reise bespricht. Dazwischen alte Bilder, Filme, Erinnerungen. Dann das Wiedersehen, mit den anderen Frauen und mit Wien.

Es kommt zu fast symbolischen Szenen, die mehr erzählen als nur über die Unsicherheit und den Stolz der Frauen. Eine Schwimmerin geht zu dem Haus, in dem sie früher wohnte. Sie klingelt an der Haustür, man öffnet ihr, aber sie kommt nicht weiter als in das Treppenhaus. Kein Bewohner zeigt sich, niemand spricht mit ihr.

Eine andere Schwimmerin fährt mit einem Taxifahrer, der im Gespräch unbeholfen seine Unkenntnis offenbart über die Geschichte und die Juden Wiens. So ist der Film auch eine kommentarlose Spiegelung von außen: Über den nach wie vor verkorksten Umgang mit der Vergangenheit, in diesem Fall in Österreich. Dazu passt irgendwie auch, dass der ORF aus der Finanzierung des Films ausgestiegen ist, weil die porträtierten Frauen meist auf Englisch oder Hebräisch reden wollten.

Dem Film hat diese Delle in der Finanzierung nicht geschadet. Die Spannung hält bis zum Höhepunkt am Schluss: Die alten Damen kommen nebeneinander aus den Umkleidekabinen des alten Schwimmbads, treten an eine Balustrade und legen ihre weißen Bademäntel ab, wie Diven auf einer Hollywoodbühne. Eine perfekte Inszenierung, die ans Herz geht. Auch als die Damen im Wasser sind, fühlt man sich erinnert an synchron schwimmende Grazien in alten US-Streifen. Spätestens hier wird klar: Filmemacher Zilberman wollte nicht nur einen guten Film, sondern auch den Damen ein Geschenk machen. Aber das ist in Ordnung. G. Pitronaci