Ein guter Jahrgang

Der ZDF-Film „Die Nachrichten“ gewinnt den diesjährigen Baden-Badener Fernsehfilmpreis. Die Zuschauer sorgen für ausgleichende Gerechtigkeit

VON STEFFEN GRIMBERG

Es gibt viele Familientreffen der TV-Branche. Doch keines kommt an den Charme der Begegnung heran, die pünktlich zum ersten Advent Baden-Baden heimsucht. Draußen, vor dem mondänen Kurhaus, macht ein heimeliger Weihnachtsmarkt auf. Und drinnen schaut man schon um 9 Uhr früh Filme, in den Siebenjährige beim Spielen versehentlich ihre beste Freundin umbringen.

Es war aber nicht nur Aelrun Goettes ausgezeichnetes Filmdebüt „Unter dem Eis“. Auch sonst wurde viel gestorben beim diesjährigen 41. Fernsehfilm-Festival, das alljährlich das Beste aus der Königsdisziplin des Fernsehens Revue passieren lässt – und in öffentlicher Sitzung unter reger Publikumsbeteiligung seziert. Aber nicht der schönste Film über das Leben und den Tod, Rainer Kaufmanns „Marias letzte Reise“ kam in den Genuss des Fernsehpreises der Deutschen Akademie der darstellenden Künste, die Veranstalterin des Baden-Badener Festivals ist. Sondern „Die Nachrichten“, Matti Geschonnecks brillante Umsetzung von Alexander Osangs „Tagesschau“-Roman, die ironischerweise im ZDF lief. Doch Baden-Baden hat nicht nur eine offizielle Jury aus JournalistInnen (die Fernsehkritiker Hans Hoff und Klaudia Wick), SchauspielerInnen (Christiane Paul) oder anderen TV-Sachverständigen (Petra Müller vom Medienboard Berlin-Brandenburg und Regisseur Thomas Schadt). Zum zehnten Mal hatten auch die wahren Auftraggeber des Fernsehens das Sagen: die ZuschauerInnen selbst.

Alle in Baden-Baden nominierten Filme laufen in der Festivalwoche auf 3sat, auch die der privaten Sender mit Ausnahme des Spielverderbers RTL. Und in fast jedem Jahr gibt es so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. Der 3sat-Zuschauerpreis 2005 ging nämlich an – „Marias letzte Reise“. Den Hans-Abich-Preis, benannt nach dem 2003 verstorbenen ehemaligen ARD-Programmdirektor, bekam Heinrich Breloer. Der ebenfalls nominierte Breloer-Zweiteiler „Speer und Er“ ging dafür leer aus. Macht nichts, „Die Manns“ blieb vor zwei Jahren beim Fernsehfestival ebenfalls unprämiert. Und Breloer „rächte“ sich charmant auf seine Weise: Für den WDR drehe er demnächst die „Buddenbrooks“, verriet er en passant – als Doku-Drama, versteht sich.

Es war überhaupt eine hochkarätige Fernsehfilmauswahl, „anders als in anderen Jahren haben wir nichts gesehen, was ärgerlich gewesen wäre“, bilanzierte die im Vergleich zum Vorjahr übrigens deutlich verjüngte und lebendigere Jury. „Nicht dass dieses Jahr das Fernsehen neu erfunden worden wäre. Wir sehen nur, was es kann, wenn es darf – und wenn es will.“

Gerade auf das Dürfen kommt es in Zeiten knapper Kassen und offenbar immer matter werdendem Wagemut in den TV-Anstalten an. Dafür gibt es im sonst leicht verschlafen anmutenden Kurstädtchen ein höchst lebendiges Beispiel: Das Festival und der Baden-Badener Haussender SWR feierten 20 Jahre „Debüt im Dritten“. Die Reihe des Südwestfernsehens, mit dem „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF wichtigste Kaderschmiede für Qualitätsfernsehen, hat etliche TV-Größen (Nico Hofmann, Hans Weingärtner) hervorgebracht und neue TV-Maßstäbe gesetzt.

SWR-Fernsehdirektor Bernhard Nellessen hielt das zwar nicht davon ab, eine derart blasse Festansprache zu halten, dass sich einer der Festivalbesucher an die „Leichenrede auf einen unbekannten Toten“ erinnert fühlte. Zum Geburtstag gibt es aber immerhin eine Sorge weniger: Die Reihe hat auch nach der Reform des TV-Programmschemas im Südwesten einen festen Sendeplatz.