Die Schönheit des Klingenstacheldrahts

AUSSTELLUNGEN Mal dokumentarisch, mal künstlerisch: In der Auseinandersetzung mit der Apartheid in Südafrika stellt das Münchner Haus der Kunst mit „Aufstieg und Fall der Apartheid“ und „Kendell Geers: 1988–2012“ zwei ganz unterschiedliche Ansätze vor

Die Waschung mit Eigenblut reinigt ihn nicht, sondern verschmutzt ihn: Blut ist dicker als Wasser

VON K. ERIK FRANZEN

Townships, Homelands, Apartheid: Begriffe, die fast zwanzig Jahre nach Beendigung des verbrecherischen Systems der Rassentrennung in Südafrika im kollektiven Weltgedächtnis langsam zu verschwinden drohen. Es passt also, dass gerade jetzt der Kunstbetrieb einen Erinnerungsstolperstein setzt.

Gerade noch in New York, jetzt in München: Frisch importiert aus dem International Center for Photography, ist die Ausstellung „Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens“ nun im Haus der Kunst zu sehen.

Die vom Historiker Rory Bester und von Okwui Enwezor kuratierte Schau beeindruckt durch ihren unverhohlen aufklärerischen Ansatz. Hier wird gezeigt, wie die Apartheid vornehmlich von südafrikanischen Lichtbildnern zwischen 1948 und 1994 dokumentiert, fotografiert und abgebildet worden ist und wie sich die Fotografie „vom anthropologischen Instrument zur politischen Waffe“ entwickelte. Was bis auf wenige Ausnahmen fehlt, sind künstlerische Auseinandersetzungen – es dominiert die Dokumentarfotografie in ihren verschiedenen Spielarten vom gesellschaftskritischen Essay über die Presseberichterstattung bis hin zur Sozialreportage. Braucht es dafür ein Haus der Kunst oder würde es ein Haus der Geschichte auch tun?

Mit der nur wenige Tage zuvor im Haus der Kunst eröffneten Mid-Career-Ausstellung des Südafrikaners Kendell Geers erweist sich Direktor Okwui Enwezor als kluger Stratege. Denn in der von Clive Kellner kuratierten Schau wird der Faden der Apartheid nicht bloß aufgenommen und zeitlich bis in die Jetztzeit verlängert. Vielmehr steht nun ein explizit künstlerischer Ansatz im Mittelpunkt.

Geers repräsentiert die Künstlergeneration der späten achtziger Jahre, als sich Südafrika bereits in einer Phase ungeheurer politischer Umwälzungen befand. Er selbst, Sohn von Zeugen Jehovas, läuft als Jugendlicher von zu Hause weg und wird Aktivist der Antiapartheidbewegung. Sein Lebensthema: seine chronische Identitätskrise als weißer Afrikaner aus der Arbeiterklasse. Er fühlt sich in der falschen Haut. Und kommt da nicht raus. Sein Initiierungsritual als Künstler besteht in einer Waschung mit Eigenblut, die ihn aber nicht reinigt, sondern verschmutzt: Blut ist dicker als Wasser. Ebenso wie die Fotografie „Bloody Hell“ (1990) geht es in zahlreichen weiteren Werken um das Ich in der Menge Du. Das „Self Portrait“ (1995) besteht aus einer gefundenen, abgebrochenen Heineken-Bierflasche und verweist mit dem übrig gebliebenen Schriftzug „Imported from Holland. The Original Quality“ auf die Herkunft seiner Familie und den Überlegenheitsanspruch der Kolonialherren.

Geers verbindet die europäische Konzeptkunstgeschichte mit seiner eigenen Erzählung und schafft so einen afrikanischen Konzeptualismus, in dessen Mittelpunkt das Readymade steht. Schon früh arbeitet er mit Glasbruch, Ziegelsteinen und Klingenstacheldraht, Materialien, deren symbolpolitischer Gehalt in dem gewaltgeprägten politischen Kontext Südafrikas überdeutlich sind: Die Installation „Hanging Piece“ (1993) aus an roten Seilen unterschiedlicher Länge herunterhängenden Ziegelsteinen verweist auf die Unruhen in Kapstadt Anfang der neunziger Jahre. Der von Geers in zahlreichen Werken verwendete Klingenstacheldraht ist als Zeichen der Ausgrenzung und physischen Unterdrückung unübertroffen. Nach dem Kampf ist vor dem Kampf? Nein.

Kendell Geers wandert nach Europa aus und geht auf Sinnsuche. Exemplarisch dafür steht „Postpunkpaganpop“ (2008), eine labyrinthisch angeordnete, raumfüllende Installation aus Bodenspiegeln und ebenjenem scharfkantigen Draht. Geers konfrontiert den Betrachter hier nach eigener Aussage mit der „beauty of barbed wire“. Das in Form einer Swastika angelegte, blank geputzte Labyrinth ist extrem spirituell-esoterisch hochgepitcht und soll die „Rückkehr zur Natur“, auch in uns selbst, bedeuten. Im Exil wird Geers zum rätselfreien Mystiker, von Hoffnung getrieben und mit Liebe erfüllt.

Was sagt uns diese künstlerische Transformation eines emigrierten, geläuterten weißen Südafrikaners über die Folgen der Apartheid? Vielleicht so viel, dass schwere Verletzungen nur langsam und kompliziert heilen.

■ Bis 12. (Geers) bzw. 26. Mai (Apartheid), Haus der Kunst, München, Kataloge (Prestel Verlag) 49,95 bzw. 59 Euro