Westberlin: Der Kittel von Edith Hancke

Das Theater und die Komödie am Kurfürstendamm feiern mit einem Tag der offenen Tür ihren 90. Geburtstag. Es ist ein Tag in Moll - denn den privat geführten Volkstheaterbühnen droht der Abriss.

Das ist doch...? Jenau, Harald Juhnke. Eine feste Größe, auch in den Annalen der Kudammtheater-Bühnen. Bild: ap

Schon um Viertel nach elf steht fest: Das Glücksrad ist die Attraktion des Tages. Eine Schlange aus Eltern mit Kindern, Ehepaaren und älteren Herrschaften wickelt sich durch das Foyer im Theater am Kurfürstendamm. Der Lohn fürs Warten: dreimal an der Scheibe drehen. Dann gibt es entweder eine Niete, ein Päckchen Gummibärchen oder - mit viel Glück - eine Eintrittskarte oder ein signiertes Programmheft zu gewinnen. "Als ob et hier Bananen jäbe", sagt kopfschüttelnd eine alte Dame und schiebt sich an den Glückssuchern vorbei, um an den Klassiker des Hauses zu gelangen: die Himbeerbowle. Das beliebte Pausengetränk gibt es heute zum halben Preis. Und das schon vormittags. "Auf weitere 90 Jahre", prostet die Dame - und lässt offen, ob die Ironie ihrer Lieblingsbühne gilt oder ihr selbst. Oder beiden.

Es ist Tag der offenen Tür im Theater am Kurfürstendamm. Der 1921 eröffnete Tempel der leichten Muse im Herzen Westberlins präsentiert "Stars und Programm" - aber auf gewohnt bodenständige Weise mit Würstchen und Blasorchester. Doch auch das Tschingderassa und die vielen Kinder, die sich von Maskenbildnerinnen zu bunten Schmetterlingen schminken lassen, können den Mollklang nicht verdrängen, der über dem Jubiläum schwebt. Denn das Theater und die benachbarte Komödie sollen einem Umbau des Hauses weichen, den sich ein irischer Investor in den Kopf gesetzt hat. Trotz des Engagements einer Bürgerinitiative und einzelner Lokalpolitiker scheint das Schicksal der beiden Privatbühnen besiegelt. Sie sollen zwar auch im neuen Haus einen Platz bekommen, allerdings irgendwo weiter oben, ohne historische Patina und direkten Boulevard-Anschluss. Wie es weitergeht, das wissen die Theaterinhaber selbst noch nicht. "Seit sieben Jahren werden wir jedes halbe Jahr abgerissen - aber wir sind immer noch da", sagt Theaterdirektor Martin Woelffer trotzig in seiner Eröffnungsrede. Wann wirklich Baubeginn ist, weiß noch niemand. Vermutlich nicht einmal "Eicke", die als Medium in einer Loge einen Blick in die Zukunft (15 Minuten für nur 10 Euro) anbietet. Wie verunsichert die eingeschworene Zuschauergemeinde des Theaters ist, zeigt sich daran, dass Eickes Loge dauerbesetzt ist - während sich der Andrang beim neu gegründeten Förderverein "Verein der Freunde von Boulevard- und Unterhaltungstheater in Berlin e. V." in Grenzen hält. Die T-Shirts mit dem Aufdruck "Theater und Komödie am Kurfürstendamm forever" gehen aber ganz gut. Auch wenn das Durchschnittspublikum eher Zweireiher und Kostüm trägt als Sportswear.

Doch an diesem Sonntag ist alles ein bisschen anders. Deutlich mehr junges Volk als an einem normalen Theaterabend sitzt in den samtroten Sesseln des vom Theaterarchitekten Oskar Kaufmann umgestalteten Saal, in dem vor dem Theaterbetrieb die Berliner Secession residierte. Auch auf der Bühne sinkt der Altersdurchschnitt gewaltig, als der Kinderchor der Deutschen Oper mit einem Überraschungsständchen zum 90. gratuliert. Der eigens zum Anlass komponierte "Kudammbühnenmarsch" erinnert daran, dass die Häuser ebenso nach "Spree-Athen" gehören wie der Prater zu Wien. Schade, dass sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erst für den Nachmittag angekündigt hat.

Nach dem fröhlichen Auftakt verliert das Bühnenprogramm etwas an Schwung. Die "Talks" mit Darstellern der Stücke "Das Ende vom Anfang" und "Spätlese" sind nur für Kenner interessant. Die aber bilden das Rückgrat dieses seit drei Generationen von den Woelffers als Familienbetrieb geführten Bühne. Dass die Frage-Antwort-Runden etwas hölzern sind, verzeiht man gern, lacht über jeden Witz des tapferen Direktors und seines Vaters und nimmt Autogramme von Judy Winter und Michael Altmann mit nach Hause.

Viele wollen mit ihrer Anwesenheit ein Zeichen setzen. So auch die drei Damen und zwei Herren im Foyer, die auf eine Tasse Kaffee vorbeigekommen sind. "Es ist eine Schande, dass es mit dem Denkmalschutz nicht geklappt hat", sagt eine Dame. "Wir halten dem Haus die Treue, auch wenn es in Zukunft anders aussieht", ergänzt ihr Mann. Und erzählt, wie er als junger Lehrling von Spandau mit der U-Bahn zum Kürfürstendamm gefahren sei, "die Krawatte in der Tasche", so oft, bis er die Bühnengags von Günter Pfitzmann und Harald Juhnke auswendig kannte.

Statt Pfitzmann ist es am Publikumsnachmittag der Fernsehkomödiant Oliver Kalkofe, der Stimmung in die Bude bringt. Unter großem Hallo versteigert er einen Dreiteiler von "Hotte Buchholz", getragen 1992 in "Außer Kontrolle". Und eine Kittelschürze des Volkstheaterstars Edith Hancke samt dazupassender Teekanne. Diese Essenz vergangenen Westberliner Theaterglanzes geht für 60 Euro das Stück an einen Herrn. Zumindest die Himbeerbowle ist damit für die nächste Zukunft gesichert.

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