Vodou-Ausstellung in Bremen: Die Götter des Exils
Als die Europäer Millionen Menschen aus allen Teilen Afrikas nach Saint Domingue deportierten, trafen dort deren Götter aufeinander, paarten und vermehrten sich. Das Bremer Übersee-Museum zeigt Kulte und Artefakte dieser Widerstands-Religion.
Bremen | taz Zuerst einmal musst Du an Deiner Angst vorbei. Vorher lässt sich die Ausstellung nicht sehen, vorher ist es unmöglich, den haitianischen Figuren und Flaggen zu begegnen, in die sakralen miwa zu blicken - miwa ist das kreolische Wort für Spiegel - oder gar, der bizango-Armee in Frieden gegenüber zu treten. "Vodou" heißt die Ausstellung im Bremer Überseemuseum, "Kunst und Kult aus Haiti". Und sie ist - überwältigend. Wobei sich schwer sagen lässt: Liegt das an Wert, Qualität und Magie der Exponate, oder eben daran, dass die Unkenntnis so groß und hier so viel zu erfahren ist, zu lernen.
Wahrscheinlich an beidem. Denn über Vodou weißt Du weniger als nichts - also: viel Falsches. Es fängt schon damit an, dass Du spontan die englische Schreibweise Voodoo bevorzugen würdest, die auf Haiti verpönt ist. Aber das ist ja harmlos. Vorurteile können viel gefährlicher sein. Deren Verbreitung begünstigt, dass radikale Fernsehprediger auf CBS, aber auch prominente katholische Priester in der Presse Österreichs öffentlich jenem karibischen Kult eine Mitschuld am Erdbeben und der Cholera-Epidemie von 2010 unterstellen konnten. Worte, die ihre Brüder und Schwestern auf Haiti sehr wohl vernommen haben: Im Frühjahr und im Advent fielen über 50 Vodou-Anhänger der christlichen Nächstenliebe zum Opfer. Gemeindeglieder haben sie gelyncht.
Das Vorurteil lebt. Und Vodou ist in Gefahr, in jeder Hinsicht: Da ist einerseits eine gewisse Scham über diese Religion von zwei Dritteln der Bevölkerung, die man im offiziellen Haiti für Aberglauben hält - statt für Kultur. So hat der neue Präsident Michel Martelly längst Vertreter der christlichen Großkirchen empfangen. Vodou-Repräsentanten wird solche Ehre nicht zu Teil. Und das sind schlechte Voraussetzungen fürs Bewahren: Mittlerweile hat der Internationale Museumsrat im Grunde die ganze Lebensform auf die Rote Liste des bedrohten kulturellen Erbes in Krisenregionen gesetzt.
Auch die Objekte, die Marianne Lehmann, eine Schweizerin, seit 25 Jahren erworben hat, sind vom Erdbeben betroffen gewesen. Ihre Sammlung wirbt derzeit auf ihrer Welttournee für ein Museumsprojekt in Port au Prince. Bremen ist die letzte Station in Europa. Und riskant, aber gut ist, dass man hier dem in Vorurteilen kristallisierten Unwissen den ersten Raum widmet: Der Weg zu den Objekten führt im Übersee-Museum vorbei an den Ängsten, vor allem solchen made in USA.
Denn Hollywoods Albtraumfabriken haben die Vodou-Religion zur Horror-Sekte des Voodoo umgemodelt. Die verwandelt in hühnerbluttriefenden Ritualen Menschen in lebende Tote, mit Vorliebe Weiße. Ihre Priester begegnen Dir als die Erzschurken in den 70ern, 80ern und besonders perfide noch 2009 in Disneys "Küss den Frosch".
Die Filmausschnitte sind sehr aussagekräftig, obwohl leider Szenen aus "White Zombie" fehlen: In dem wird die wunderschöne Madge Bellamy nämlich beinahe das allererste Opfer haitianischer Schwarzmagier. Zum Glück rettet sie am Ende der gute Dr. Bruner (Joseph Cawthorne) - ein christlicher Missionar.
Der Gruselklassiker stammt aus dem Jahr 1932. Im wirklichen Leben war das die Zeit, als die Rebellen zur echten Belastung für die Besatzungsmacht wurden. Die USA begannen, an Rückzug zu denken. Nicht nur instinktiv hatten sie, direkt vom Einmarsch 1915 an, den "Satanskult" wohl noch schonungsloser unterdrückt, als es die vorherige, gescheiterte, katholische Republik tat.
Aber auch wenn die initiierten PriesterInnen, die houngan und die mambo, in den Gefängnissen der Militärpolizei umkamen - es tauchten neue auf. Die Ruhe ließ sich durch die Erschießung demonstrierender Zuckerfabrik-Tagelöhner zwar kurzfristig herstellen - aber nicht bewahren. Und es liegt nahe, die Angst, die Dir in Zombiefilmen auf den Pelz rückt, als genau jene zu deuten, die der Kolonisierer vor dem Kolonisierten empfindet, der Plantagenbesitzer vorm widerspenstigen Sklaven, der Eroberer vorm rebellischen Unterworfenen.
Und diese Angst hat ihren Grund. Der Feind nämlich bezieht seine Kraft aus einer spirituellen Praxis, die Dir fremd bleibt. Fremd und unheimlich, gerade weil Du in ihr vertrauteste Figurationen der europäischen Religionen wiedersiehst - umstandslos integriert. Und dabei verwandelt.
Assimilieren, das ist eine verbreitete Strategie von Religionen. Das Christentum hat darauf seinen Erfolg gegründet. Es hat die Götter Griechenlands assimiliert - und dabei verteufelt, um sie zu verfolgen und zu vernichten. Vodou macht das Gegenteil. Er nimmt die katholischen Heiligen auf - und vergottet sie. Das heißt, er erklärt die Gnadenbildchen zu Darstellungen einzelner Lwa, also von Mitgliedern seines Pantheons aus 401 Einzelgeistern, von denen jeder einen Aspekt der allumfassenden Gottheit verkörpert.
Sie müssen, wenn der Leidgeplagte seinen houngan konsultiert, alle ansprechbar sein: Denn der weiß ja ebenso wenig, wie ein Hausarzt, ob der Gläubige, der ihn aufsuchen wird, an gebrochenem Herzen oder physischen Schmerzen krankt. Eindrucksvoll organisiert diese Fülle deshalb der Rada-Altar. Auf ihm drängen sich in der Ausstellung Antonius von Padua, Benedikt von Nursia, der Heilige Georg, Barbie und Ken, eine Schmerzensmutter, Nastassja Kinski - nackt, mit Boa constrictor, fotografiert von Richard Avedon - sowie die Schwarze Madonna von Tschenstochau.
Wenigstens sind sie das für Nicht-Initiierte. Aber nicht in der Vodou-Wirklichkeit: Zwei Drittel der Haitianer erkennen in diesen Bildern die mütterliche Èzili Freda und ihr temperamentvolles Pendant, Èzili Dantò, oder Papa Zako, den manche auch liebevoll Kouzèn rufen. Und in dem Ritter wird ein Vodou-Anhänger Ogou huldigen, dem Schutzgeist der Politik, dem Kriegsgott, dem Kämpfer für Gerechtigkeit - und legendären Liebhaber weißen Rums.
Begegnungen des Heterogenen, die Vereinigung von Vielfalt, das scheinen Leitmotive. Viele gerade der originären Figuren sind in sich gespalten, so wie Kraze-Brize (in etwa: Unruhestifter): Der wirkt, von der einen Seite besehen, wie ein ermatteter Wanderer, der entspannt an einem Grabkreuz lehnt. Ist von der anderen Seite aber ein Gerippe, mit bleckenden Zähnen. Die runden Steine, auf der seine Beine zu ruhen schienen, sind hier ganz klar als Totenschädel zu erkennen. Und eine Sonnenbrille verbindet die beiden Hälften seines Gesichts. Er ist eine Nachtfigur.
Mosaikhaft mit Perlen, Muscheln und Pailletten bestickt sind auch die festlichen Flaggen und Stoffbilder der Lwa, die weniger der Nachtseite zugehören. Und in die asymmetrischen Körper der lebensgroßen schwarz-roten Stoffpuppen, die eine geheime Armee des Vodou bilden, sind Knochen und Schnüre, Ketten und Schlösser eingearbeitet. Oft sind sie verstümmelt, ein Bein fehlt, oder ein Arm, weil sie als Veteranen konzipiert sind. Und aus den Augenhöhlen glänzen Spiegel.
Wahr ist, dass Vodou schon in seinem Ursprung Kulte verschmilzt. Seit dem 16. Jahrhundert wurden Millionen Menschen aus Benin, Nigeria, dem Kongo, dem Senegal und sogar von der ostafrikanischen Küste als Sklaven auf die Insel verfrachtet. Ihre Götter begegneten einander im Exil auf Hispaniola und Saint Domingue, paarten sich, verschmolzen zu neuen. Sie freundeten sich mit jenen der Taino-Indianer an, die seit dem 12. Jahrhundert dort lebten, - und sie mögen sich in den katholischen Andachtsbildern wiedererkannt haben.
Zugleich bietet die Aneignung der herrschenden Ikonografie die Möglichkeit der Camouflage: Notwendig wird das spätestens ab 1685. Denn während man es zunächst abartig fand, fürs Seelenheil auch von Schwarzen zu sorgen, schreibt dann das Gesetz, der Code Noir, auch in der reichsten Kolonie der Welt die Taufe der Sklaven vor - ausnahmslos und ohne Erbarmen.
Die bizango, die Geheimorganisationen, Parallelgesellschaften, sie stammen aus dieser Epoche. Eine ihrer mutmaßlichen Gründerfiguren, François Mackandal, soll ihnen das Vergiften der Franzosen als Mittel des politischen Kampfes 1758 noch vom brennenden Scheiterhaufen herab gepredigt haben - die Vergiftung der Sklavenhalter, auf deren Plantagen er seinen Arm gelassen hatte, die Vergiftung ihres Viehs und ihrer Bediensteten.
Die Zombifizierung per Atropin betreiben sie tatsächlich, auch heute noch, als ein Mittel ihrer traditionellen Justiz. Sie sind gefährlich, wie jede Widerstandsorganisation - aus der Sicht der Beherrscher. Manche von ihnen sind durchaus bereit, sich missbrauchen zu lassen: Die Tonton Macoutes, die Folterer und Todesschwadronen des Regimes von Vater und Sohn Duvalier, von Papa und Baby Doc, rekrutierten sich aus ihren Reihen.
Und ja, Du kannst Dich fragen, ob ihr historisches Ziel nicht erreicht ist? Aber dann wäre Vodou ja kaum eine bedrohte Kultur. Und wie es mit ihnen weitergehen soll, wenn der Friede da ist und alle Unterdrückung endet? Aber Du ahnst, dass die Gewalt, vor der Du erschrickst, nur aufscheint aus einem Miwa pou rale mennen espri yo, einem Spiegel zum Herbeirufen von Geistern, die Du nicht mehr los wirst.
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