Berlin Rot-Schwarz: Kritik an bayerischen Verhältnissen
Liberal war einmal: SPD und CDU wollen die Vorbeugehaft auf vier Tage erhöhen. Am Montag ist das Thema bei den Koalitionsverhandlungen Integration.
Lange hat die CDU gewartet, nun scheint sie am Drücker. Bei der Verhandlungsrunde zur inneren Sicherheit am Freitag haben die Christdemokraten nicht nur die geforderten 250 Polizisten zusätzlich und eine Verlängerung der Videoüberwachung in der U-Bahn von 24 auf 48 Stunden bekommen. Auch der so genannte Unterbindungsgewahrsam, besser bekannt als Vorbeugehaft, soll von bislang 47 auf 96 Stunden ausgeweitet werden.
Nicht nur Anwälte und Bürgerrechtler kritisieren diesen jüngsten Beschluss von Rot-Schwarz zur inneren Sicherheit, sondern auch die Opposition. Der linke Fraktionschef Udo Wolf rät allen möglichen Betroffenen, gegen die neue Regel zu klagen. Der grüne Innenexperte Benedikt Lux empört sich gegenüber der taz: "Das ist ein Vorgeschmack auf die nächsten fünf Jahre Rot-Schwarz. Berlin bekommt damit bayerische Verhältnisse." In Bayern gilt, wie in anderen Bundesländern, schon jetzt eine bis zu vier Tage währende Vorbeugehaft.
Mit seinem Beschluss schöpft nun auch Rot-Schwarz die maximale Dauer eines solchen Gewahrsams aus, den das Bundesverfassungsgericht 2006 erlaubt hatte. Vorbeugehaft kann etwa gegen Anhänger der militanten Szene vor Großereignissen wie dem 1. Mai verhängt werden - wenn es dazu einen richterlichen Beschluss gibt. Der Republikanische Anwaltsverein kritisiert die Verlängerung als "Strafe, ohne dass zuvor eine Straftat begangen worden sein müsste".
Bei der dritten Koalitionsrunde am Freitagabend zu innenpolitischen Themen gab es erstmals nicht überall eine Einigung. So lehnt die CDU nach wie vor die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte ab, die SPD will sie beibehalten. Ebenso wehrt sich die CDU gegen eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländer sowie zur doppelten Staatsbürgerschaft.
Am heutigen Montag treffen sich die Unterhändler, um über das Thema Integration zu reden. Dabei geht CDU Landes- und Fraktionschef Frank Henkel von einer längeren Debatte aus. Dabei werde es um die Richtung gehen, in der sich die Politik eines rot-schwarzen Senats bewegen soll, sagte Henkel am Sonntag.
Zuvor hatte der Tagesspiegel gemeldet, dass SPD und CDU Berlin zu einer Modellstadt für europäische Integration ausbauen wollen. Danach würden sich beide Parteien dazu bekennen, dass Berlin eine Einwanderungsstadt ist. Das vom rot-roten Senat verabschiedete Integrationsgesetz soll angeblich weiterbestehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuwahlen
Beunruhigende Aussichten
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Grünen-Parteitag in Wiesbaden
Grüne wählen neue Arbeiterführer