Ärger um „Reader“: Lesefehler bei Google
Marktführer Google hat seinen bei Newsjunkies beliebten Reader teilkastriert. Was Nutzer im Westen nervt, zerstört im Iran eine Möglichkeit, Zensur zu umgehen.
Der neue Google-Boss Larry Page räumt auf: Der Twitter-Klon Buzz wird bald beerdigt, die PC-Suche Google Desktop hat bereits das Zeitliche gesegnet und Fast-Flip, mit dem Verlage ihre Web-Inhalte hübscher präsentieren können, muss auch dran glauben.
Bislang sorgten die Konsolidierungsmaßnahmen nur vereinzelt für Aufruhr unter Nutzern. Beim gerade umgestalteten Nachrichtenleseprogramm Google Reader ist das nun ganz anders: Über 10.000 Menschen unterzeichneten in kurzer Zeit eine Petition, die Web-App doch bitteschön nicht anzutasten.
Reader ist eines jener Google-Produkte, die bei Otto-Normal-Nutzern unter dem Radar blieben. Newsjunkies und Nerds bevölkern den im Herbst 2005 gestarteten Dienst dagegen in Scharen. Die Anwendung erlaubt das Lesen von RSS-Nachrichtenströmen im Web sowie mittels zahlloser Anwendungen auf PC, Smartphone oder Tablet.
Über den Standard RSS werden neue Beiträge auf Websites signalisiert. Man muss also nicht mehr auf zig Angeboten herumsurfen, sondern erhält alle News an einem Ort präsentiert. Interessiert ein Artikel, der via RSS meist in Form von Überschrift und kurzem Anreißer dargestellt wird, klickt man sich eben durch.
Google Reader bot aber seit einigen Jahren mehr als nur das reine Anzeigen von News. Die Entwickler haben ihm einfache soziale Funktionen beigebracht, mit denen es möglich ist, interessante Beiträge mit anderen Reader-Nutzern zu teilen und solche „Best of“-Kompilationen zu abonnieren. Auch konnte man sich im Reader kurze Notizen anlegen, um Neuigkeiten später einfacher wiederzufinden.
Rudimentäre Unterstützung für Google+
Mit dem vor wenigen Tagen durchgeführten Relaunch von Google Reader sind die sozialen Funktionen nun vollständig entfernt worden. Grund dafür ist offensichtlich, dass Google solcherlei Dinge künftig in sein neues Netzwerk Google+ integrieren will, von dem man sich eine echte Chance gegen Facebook erhofft.
Reader hat seit der Neugestaltung denn auch eine rudimentäre Unterstützung für Google+. So kann man Nachrichten ein „+1“ verpassen (Googles Äquivalent zum „Like“-Knopf) und sie mit Google+ teilen.
Ansonsten wurde auch die Optik überarbeitet, doch das ebenfalls nicht unbedingt zum Vorteil: Für Nachrichten bleibt weniger Platz als vorher und die neue Farbwahl sorgt kaum für Übersicht. Am schlimmsten bleibt aber das Weglassen der „Social Features“. Nutzer im Westen nervt das nur, doch in Zensurländern wie dem Iran ist das ein echtes Problem. Dort wird Google Reader im Gegensatz zu Google+ nämlich nicht zensiert.
So war es möglich, interessante Beiträge mit anderen iranischen Nutzern zu teilen, auch wenn die Original-Website vielleicht blockiert wurde: Die Google-Reader-Sharing-Funktion machte zumindest den RSS-Anriss lesbar. Google ist das Problem bekannt - es wurde schon vor dem Relaunch kommuniziert. Trotzdem hat das Google Reader-Team bislang keine Lösung.
Die Verärgerung um das neue Design ist unterdessen nicht nur unter den Nutzern groß. Auch zwei ehemalige Mitglieder des Google Reader-Teams, ein Projektmanager und ein Designer, zogen in ihren Blogs mächtig vom Leder.
Der Ex-Designer bot Google sogar an, eine bessere Neugestaltung der Leseanwendung vorzunehmen. „Ich würde für drei Monate einen Vertrag annehmen und die Funktionalität von Google Reader wieder herstellen beziehungsweise verbessern - und zwar im Sinne der neuen visuellen Vorgaben von Google.“ Dafür werde er sogar seine aktuellen Projekte verschieben. „Google Reader soll weiter der beste Newsreader bleiben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod