Alles in allem lieber in Pittsburgh

ATMOSPHÄRISCH DAHINDRIFTEN Mit seinem „Unknown Pleasures“-Festival zeigt das Babylon Mitte nun schon zum zweiten Mal Filme aus den Randbereichen der US-amerikanischen Kinoproduktion, die sich durch Sorgfalt, Kenntnisreichtum und Subtilität auszeichnen

Die interessantesten Figuren im amerikanischen Kino des vergangenen Jahres sind nicht blau und leben nicht auf fernen Planeten, sondern am Atlantik in Brighton Beach, Brooklyn oder in der alten Industriestadt Pittsburgh, Pennsylvania. In Pittsburgh wuchs einst Andy Warhol auf, worüber Lou Reed einen Song namens „Smalltown“ schrieb. Dessen letzte Zeile: „There is only one good use for a small town / You hate it and you’ll know you have to leave.“

Der Song kommt allerdings nicht vor in Greg Mottolas hinreißendem Film „Adventureland“, obwohl er das Dilemma der Hauptfigur James Brennan (Jesse Eisenberg) präzise umreißt und obwohl die Musik von Lou Reed darin eine überaus wichtige Rolle spielt. Der Grund für die Abwesenheit von „Smalltown“ ist einfach: „Adventureland“ spielt im Jahr 1987 und Yo La Tengo, die die Musikauswahl besorgt haben, halten sich sehr präzise an den Pophorizont des erzählten Zeitraums.

Eigentlich will James hinaus ins Leben und in die Welt. Eine Europareise ist geplant, bevor er das Studium in New York aufnimmt. Dann aber reicht das Geld nicht und er muss jobben in Pittsburgh. Im drittklassigen Vergnügungspark „Adventureland“ landet er auf der untersten Stufe der Leiter, als Betreuer von Ständen mit manipulierten Spielen, deren Hauptgewinn dicke Pandas sind. Den Mikrokosmos des Adventureland-Prekariats entfaltet Mottola mit äußerster Liebe zu seinen Figuren. Da ist etwa der Intellektuelle Joel, der Gogol liebt und den eine Katholikin nach der Erstbegegnung auf der Hinterbank eines Autos zurückweist, weil er Jude ist. Oder Mike, der im Keller seiner Mutter die eigene Frau betrügt und ganz sicher niemals, auch wenn er’s behauptet, mit Lou Reed gejammt hat. Sogar Frigo, die ewige Nervensäge, oder auch einfach das „Es“, das man nie so recht loswird auf dem Weg zum Erwachsensein. Und vor allem Emily (Kristen Stewart, hervorragend in Abwesenheit von Vampiren), die kluge, beschädigte, in ihrer Kompliziertheit fast schon erwachsene Traumfrau für einen wie James. Er ist noch Jungfrau, sie ist es schon lange nicht mehr: „I linger on / your pale blue eyes.“

Ein psychisch fragiler Charakter ist auch Lenny Kraditor (Joaquin Phoenix in seiner, falls man glauben darf, was er sagt, letzten Rolle). Mit seinem Selbstmordversuch durch Sprung in den kalten Atlantik beginnt James Grays Film „Two Lovers“. Lenny wird gerettet, findet sich wieder im Schoß seiner jüdischen Familie (seine Mutter: Isabella Rossellini), wird zu seinem eigenen Erstaunen begehrt von der sanften schönen Sandra (Vinessa Shaw) und verliebt sich, sein Unglück suchend, in die neurotische blonde Michelle vom Fenster im Hinterhof gegenüber (Gwyneth Paltrow).

Dieses sehr ungewöhnliche Liebesdreieck platziert James Gray, der womöglich unterschätzteste US-Regisseur unserer Tage, mit atemberaubender Sorgfalt und in jedem Bild spürbarer Kenntnis in das jüdisch-russische Milieu von „Little Odessa“ am äußersten Ostrand New Yorks. „Two Lovers“ ist genau, aufmerksam, subtil, lief im Wettbewerb von Cannes, ging den USA ziemlich unter und kam bei uns nie ins Kino.

Beim morgen startenden Festival „Unknown Pleasures“ wenigstens erhält „Two Lovers“ als Eröffnungsfilm die Wertschätzung, die er verdient. Zum zweiten Mal zeigt das Babylon Mitte Filme aus Randbereichen der US-Kinoproduktion. Neben mittelalten Meistern wie Gray und Mottola ist auch die jüngste Generation der Slacker-Filmer – Stichwort: Mumblecore – vertreten, mit Joe Swanbergs „Alexander the Last“; daneben gibt es unter anderem „Afterschool“, das Highschool-Drama des 25-jährigen Wunderkinds Antonio Campos, oder Azazel Jacobs’ atmosphärisch dahindriftenden „The GoodTimesKid“ zu entdecken. EKKEHARD KNÖRER

1. bis 19. 1., www.babylonberlin.de