Gehacke um kurze Schnäbel

Tierschützer in NRW fordern eine artgerechtere Haltung für Mastputen. Die Landesregierung lehnt den Schutz der Tiere vor Schnabel-Kürzungen jedoch ab: „Wir wollen keine Insellösung“

VON GESA SCHÖLGENS

Bei der Haltung von Mastputen in Nordrhein-Westfalen gibt es Tierschützern zufolge gravierende Missstände. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz NRW (BUND) fordert deswegen die schwarz-gelbe Landesregierung auf, den Tierschutz in der Putenmast zu verstärken. Das Landesumweltministerium sieht dafür jedoch keinen Anlass und lehnt auch einen Erlass der Grünen zur Schnabel-Kupierung bei Truthähnen ab.

Laut BUND leben Mastputen in vielen Betrieben auf kleinstem Raum zusammengepfercht, obwohl sie als Weidetiere von Natur aus großzügigen Auslauf brauchen. Im Endstadium der Mast werden laut Verband Deutscher Putenzüchter (VDP) bis zu 58 Kilogramm „Tiermasse“ pro Quadratmeter gehalten – das sind etwa drei Hähne. Aus Langeweile und Platzmangel bepickten und verletzten sich die Puten bis zum Tode. „Deswegen wird nahezu allen Tieren entgegen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes der Schnabel gekürzt“, sagt Ralf Bilke, Agrarreferent des Bundes für Umwelt und Naturschutz NRW (BUND). Das Tierschutzgesetz erlaube die Beschneidung nur in Ausnahmefällen, sie sei aber inzwischen zur Regel geworden (siehe Kasten).

In der vergangenen Woche hatte Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) einen von der Vorgängerregierung geplanten Erlass zum Schnabelkürzen abgelehnt. „Minister Uhlenberg ist vor der Putenlobby eingeknickt“, so Agrarreferent Bilke. Schwarz-Gelb hat den geplanten Erlass der Grünen unter anderem gekippt, „um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden“, hieß es aus dem Umweltministerium. Dagegen sagt Bilke vom BUND: „Uhlenberg fürchtet, dass die Putenmastbetriebe in NRW schlechter als in Niedersachsen oder im Ausland dastehen. Miserable Tierschutz-Bedingungen werden so zum Standortfaktor erhoben.“

Laut Umweltministerium seien nur bundeseinheitliche oder europäische Regelungen sinnvoll. „Wir wollen keine Insellösung“, so Sprecher Markus Fliege. Das Beschneiden der Schnäbel von Nutzgeflügel sei EU- und bundesweit üblich und sinnvoll, um Hack-Kämpfe zu vermeiden. „Das ist keine Tierquälerei, es tut den Puten nicht weh“, sagt Fliege. In Nordrhein-Westfalen gebe es ohnehin nur einen Brüterei-Betrieb, in dem das Federvieh für die Mast kupiert werde. Dem widersprechen Studien des BUND und des ehemaligen rot-grünen Umweltministeriums: Sie ergaben, dass die meisten Masttiere beschnitten sind.

Die Schnäbel werden laut Putenzüchterverband am ersten Lebenstag des Kükens mit einem Laser oder per Infrarot gekürzt. „Es wird aber nur die Spitze des Oberschnabels beschnitten, die Tiere können so noch normal fressen“, sagt Thomas Jänning, Sprecher des VDP. Zwar werde bei dem Eingriff ein Körperteil verändert, „bislang gebe es jedoch keine anderen Lösungen für das Kannibalismus-Problem“. In der Massentierhaltung sieht der VDP nicht die Ursache des Federpickens. „Das ist keine Platzfrage“, so Jännings. Der Bochumer Tierarzt Uwe Riegner hält Jännings Aussage für „blödsinnig“. Es sei klar, dass die Massentierhaltung Schuld an dem Kannibalismus ist. „In Freiheit machen die Tiere das nicht“, so Riegner. Bei der Kupierung in den ersten Lebenstagen verspürten die Puten zwar keinen Schmerz, da das Empfindungsvermögen noch nicht so stark ausgebildet ist. Allerdings seien die Tiere anschließend beeinträchtigt, etwa bei der Gefiederpflege. „Dass das eine Form von Tierquälerei ist, darüber müssen wir nicht reden“, so der Experte.

Tierquälerei ist laut BUND auch die Überzüchtung der Puten: Die extra groß gezüchtete Brust mache oft ein Drittel des Körpergewichts aus, was neben dem hohen Mastgewicht bei den Tieren zu Haltungs-, Knochen- und Gelenk-Schäden führe. Tierschützer fordern neben besseren Haltungsbedingungen auch eine verlangsamte Mast. So könnten etwa schlankere Rassen gemästet werden. „Das kostet den Verbraucher aber wiederum mehr Geld“, sagt Bilke. Er rät Verbrauchern, Truthähne aus Bio-Betrieben zu kaufen. Der Deutsche Tierschutzbund fordert seit langem einen so genannten Tierschutz-TÜV, mit dem die Haltungssysteme geprüft werden.