Die Reizfigur

Der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) liebt die gezielte Provokation. Damit hat er sich auch in seiner eigenen Partei nicht nur Freunde gemacht. Eine Annäherung an ein Phänomen

Möglich, dass Kusch der Rechtsstaat mehr bedeutet als die Parteizugehörigkeit

von Daniel Wiese

Letzte Woche war Roger Kusch wieder in den Schlagzeilen. „Kusch bringt Richterschaft gegen sich auf“, titelte die Welt, „Oberste Richter machen Front gegen Kusch“ das Hamburger Abendblatt, und damit die Leser im Bilde seien, reichte letzteres eine kleine Chronik nach, Überschrift: „Roger Kusch sorgte schon oft für Wirbel“.

Tatsächlich war der Anlass für den neuesten Skandal vergleichsweise gering, es ging um die Bewerbungsmodalitäten für den Justizdienst. Kusch hatte eine Anweisung gegeben, nach der die Unterlagen künftig direkt an seine Justizbehörde anstatt wie bisher an die Gerichte zu senden seien – zwecks Vorauswahl der Kandidaten. Die Gerichtspräsidenten fühlten sich übergangen und wandten sich an die Presse.

Der Ärger hätte sich vielleicht vermeiden lassen, hätte Kusch vorab das Gespräch gesucht. Doch Diplomatie ist die Sache des ehemaligen Staatsanwalts nicht, der seit seinem Auftauchen in der Hamburger Politik als „Sicherheitsberater“ Ole von Beusts argwöhnisch beäugt wurde. Mal verschreckte Kusch, inzwischen Justizsenator, die Öffentlichkeit, indem er den „Wüstenknast“ des berüchtigten Sheriffs Joe Arpaio im US-Bundesstaat Arizona besuchte. Mal verstörte er seine eigene CDU-Fraktion, als er sich für ein Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus in seiner Wohnung fotografieren ließ, vor einem Aktbild, das ihn selbst darstellte.

In dem Focus-Interview setzte sich der offen schwule Senator für die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe ein. Doch auch die schwule Community stieß er vor den Kopf, indem er sich auf die Seite der Gegner eines homosexuellen Verlöbnis-Rechtes schlug – nicht wegen des Verlöbnisses als solchen, sondern wegen des damit verbundenen Zeugnisverweigerungsrechts vor Gericht, das er ablehnt.

Kusch, der stets gut gekleidet und ausgesucht höflich auftritt, hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er auf einen restriktiven Strafvollzug setzt. Gleich nach seinem Amtsantritt ließ er die Spritzenautomaten in den Gefängnissen abmontieren, die Zahl der geschlossenen Haftplätze wurde unter seiner Verantwortung kontinuierlich erhöht. „Ebenfalls positiv“ vermerkt seine Behörde in ihrer Jahresbilanz, „hat sich die restriktive Praxis der Gewährung von Urlaub, Ausgang und Freigang ausgewirkt.“ Nachdem Kusch aus dem „Wüstenknast“ in Arizona zurückgekehrt war, kritisierte er in einem Zeitungsinterview die dort praktizierte „Demütigung und Bestrafung der Gefangenen als Selbstzweck“. Andererseits dachte er laut über die Einführung von Zweierzellen in Hamburg nach. O-Ton Kusch: „Der bloße Umstand, dass zwei Gefangene in einer Zelle sind, ist noch kein Verstoß gegen die Menschenwürde.“

In seiner Justizbehörde, so kolportierte der Stern, hafte dem Senator der Spitzname „lächelnde Guillotine“ an, wegen seines Hangs zum konsequenten Durchgreifen auch nach innen. So schafft man sich Feinde. Vielleicht ist es darum kein Zufall, dass selbst die rechtspolitisch interessanten Vorstöße des Senators unweigerlich zum Skandal geraten. Etwa, wenn Kusch, wie kürzlich geschehen, gegen seine eigene Partei für ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben eintritt. Oder wenn ihm beim europäischen Haftbefehl, den er eigenhändig unterzeichnet hat, im Nachhinein Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit kommen – sehr zum Ärger seiner Länderkollegen.

Das Bundesverfassungsgericht schloss sich dem Justizsenator in dieser Sache sogar an, ein Umstand, der in Presseberichten gern unterschlagen wird. Gut möglich, dass Kusch die Logik des Rechtsstaats mehr bedeutet als die Parteizugehörigkeit. Politisch blind ist er darum nicht. Heute Mittag wird er sich mit den Hamburger Gerichtspräsidenten treffen. Verhandlungen? Bei dem Gespräch, lässt er über seinen Sprecher mitteilen, wolle er „das Verfahren erläutern“.