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Bilanz zu 10 Jahre Rot-RotUnd das war auch gut so

Mit der Wiederwahl von Klaus Wowereit beginnt am Donnerstag die rot-schwarze Koalition. Und die rot-rote Dekade endet. SPD und Linke haben Berlin verändert, manchmal, ohne es zu wollen.

Die rot-rote Senatsbank im Abgeordnetenhaus: Harald Wolf (Linke), Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und Klaus Wowereit (SPD) Bild: dpa

Kultur trotzt dem Sparzwang

Der Antritt der rot-roten Koalition fiel zusammen mit einem Paradigmenwandel. Nach den Jahren der Gründerträume begann eine Zeit des Sparens, Sanierens und Aufräumens. Mit dem Platzen der Dotcom-Blase, das 2001 zum Sterben unzähliger Internetfirmen führte, kam auch die Nachwendeeuphorie zum Stillstand. All die schicken Start-ups mit ihren karrierebewussten jungen Menschen verschwanden aus dem Stadtbild.

Doch die jungen Menschen blieben. Und mit ihnen die smarten Locations - minimalistisch eingerichtete Loftbüros und Bars, Kneipen mit aufgeräumter Inneneinrichtung. In Clubs wie dem 103, dem Ostgut und der Maria trafen die neuen Arbeitslosen der Dotcom-Branche auf eingesessene Lebenskünstler, Idealismus traf auf Kommerz. Die Unterschiede zwischen Ost und West, Sub- und Mainstreamkultur verwischten, die Feiernden kamen immer öfter aus anderen Ländern.

Nach 2001 war mit der ganz großen Party erst mal Schluss. Es wurde gespart. Wer sich traute, kratzte etwas Eigenkapital zusammen und gründete ein Label, einen Laden oder einen Verlag. Alle anderen versuchten, mit dem über die Runden zu kommen, was da war. Bloß keine großen Zukunftsentwürfe oder Kredite mehr. Dieses nüchterne Credo verkörperte niemand so sehr wie der SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin, der mit eiserner Hand den überschuldeten Landeshaushalt zusammenhielt.

Auch in der Kultur war wenig Platz für Träume. Unter dem Kultursenator und Regierenden Bürgermeister Wowereit dünnte sich die Kulturszene aus und differenzierte sich in jene, die ohne Förderung auskamen. Und diejenigen, die genug vermarktbaren Repräsentationsglanz abwarfen, um die Zuwendung aus Landesmitteln wert zu sein. Dass unter Rot-Rot die sogenannte Kosten-Leistungs-Rechnung als Leistungsmesser für Kulturbetriebe eingeführt wurde, passt ins Bild.

Von getrübter Stimmung konnte trotzdem keine Rede sein. Im Gegenteil: Im Schatten des Sparzwangs blühte ab etwa 2005 eine neue Subkultur. Wenn der Staat schon kein Geld hatte, machte man eben selbst. Auf Brachflächen, die gescheiterte Großprojekte und missglückte Industrieansiedlung hervorbrachten, siedelten sich Strandbars, Galerien und Clubs an.

Dass zupackende Stadtplanung nicht eben eine Stärke des Senats war, wussten engagierte Künstler und Unternehmer für sich zu nutzen: So entstand in der Ruine des Palasts der Republik der "Volkspalast" mit Kulturprogramm. Wo das großspurige Mediaspree-Viertel an der Spree stockte, sorgten die Bar 25 oder der Oststrand für gute Laune. Die gigantische Baulandödnis hinter dem Hauptbahnhof brachte ein neues Galerieviertel hervor. Rot-Rot gab für all diese Projekte zwar kein Geld aus, machte sie aber mit möglich - durch behördliche Duldung und verbale Ermunterung. Dabei verstand es die Landesregierung stets, die Subkulturstrukturen für Städtemarketing zu nutzen. Es war Wowereit, der erkannte, wie viel touristisches Potenzial der coole Kreativstandort Berlin barg. NINA APIN

Eine Stadt im Gleichgewicht

Dostoprimetschatjelnosti - kaum war Rot-Rot im Amt, kamen zwar nicht die Russen, aber ihre Wörter. Armes Zehlendorf, gelobtes Hellersdorf: Dostoprimetschatjelnosti heißt Sehenswürdigkeiten und war die quasi subkulturelle Flanke für das rot-rote Projekt, beide Teile der Stadt miteinander zu versöhnen.

Mehr als vier Wochen lebten Künstler und Designer in einem leeren Hochhaus in der Hellersdorfer Straße - und drehten den Spieß um. Die Peripherie wurde zum Zentrum, aus dem man, lässig und etwas gelangweilt, auf die Neue Mitte schaute. Im Osten was Neues.

"Generation Alex" haben wir in der taz schon in den 90ern die damaligen Piraten genannt, die nicht die Altbauten und Fabriketagen in Kreuzberg kaperten, sondern die auf Abriss stehenden Hinterlassenschaften im Osten. Rot-Rot hat ihnen eine Schneise geschlagen, weil es andere Bilder der Stadt versprach. Nicht in der Vergangenheit der Preußenstadt wollten die jungen Kreativen - und die Undogmatiker der PDS - ihre Zelte aufschlagen, sondern im wilden Urbanismus des Hier und Jetzt. Ein seltener Gleichklang im vom Häuserkampf geprägten Berlin. Ebenso selten wie ein Intellektueller (die Rede ist von Thomas Flierl) am Senatstisch im Roten Rathaus.

Armes Zehlendorf? Der Untergang des Abendlandes, den der Tagesspiegel, damals noch Leitmedium des Westberliner Halbstadtdenkens, beschwor, blieb aus - auch wenn Flierls Vorgänger Christoph Stölzl gar geraten hatte, Rot-Rot "sofort den Krieg zu erklären". Die Sozialisten waren an der Macht - doch die reichte nicht aus zu verhindern, dass Zehlendorf immer reicher und Hellersdorf immer ärmer wurde. Von den steigenden Mieten ganz zu schweigen.

Wenigstens verarmte Hellersdorf in Würde, während den Zehlendorfern und Charlottenburgern der Bahnhof Zoo als Fernbahnhof genommen wurde. So hätte es mancher im Osten gerne gesehen.

Doch die wahre Schlacht fand um die Mitte statt. Lange hat Rot-Rot das Ringen um die Deutungshoheit zwischen Fernsehturm und Forum Friderizianum offen halten können. Großartig der See, den die Senatsbaudirektorin gegenüber dem Roten Rathaus vorgeschlagen hat.

Und nun? Sitzt Zehlendorf wieder im Roten Rathaus und will die Berliner Altstadt zurückhaben, während sich die Grünen in Kreuzberg verbarrikadieren und die Linken selbst ihre Rathäuser im Osten lassen mussten. Zehn Jahre war Berlin im Gleichgewicht - jetzt soll sogar der Bahnhof Zoo wieder ans Netz.

Dostoprimetschatjelnosti? Wer auch immer das nächste Haus in Hellersdorf besetzt - der Blick nach Osten ist spannender. UWE RADA

Die Hinwendung zum Bürger

Es dürfte die wohl weitreichendste Entscheidung sein, die in den zehn Jahren der rot-roten Koalition getroffen wurde. Denn sie hat die politische Kultur grundlegend geändert: die Einführung von Bürgerentscheiden in den Bezirken. Und erst recht die Erleichterung von Volksentscheiden auf Landesebene. Denn seither sind nicht mehr die Entscheide der Politiker der Weisheit letzter Schluss. Der Bürger darf mitentscheiden.

Leicht gefallen ist dieser Paradigmenwechsel der rot-roten Koalition nicht. Die für die Verfassungsänderungen notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheiten im Abgeordnetenhaus waren dank Unterstützung von Grünen und FDP zwar kein Problem. Skeptisch gegenüber dem Volkswillen zeigte sich aber die SPD. So dauerte es drei Jahre, bis 2005 die Bürgerentscheide auf Bezirksebene eingeführt wurden. Ein Jahr später wurden dann die Hürden für die Volksentscheide auf Landesebene durch einen All-Parteien-Konsens gesenkt.

Dennoch hat der aufmüpfige Bürger keineswegs die Macht im Stadtstaate übernommen. Zwar wurden 30 Bürgerbegehren und 24 Volksbegehren gestartet. Doch die meisten verliefen im Sand. Einige kamen zwar zur Abstimmung, scheiterten dort aber. Das sorgte immerhin für Klarheit, etwa beim Streit um Religionsunterricht an Schulen.

Fragwürdig indes ist der Umgang mit Inititiaven wie der gegen die Bebauung der Spreeufer in Friedrichshain-Kreuzberg, die formal Erfolg hatten, aber von der Politik dann doch nicht umgesetzt wurden. Formal gesehen ist das okay. Die Bezirksentscheide sind grundsätzlich nicht bindend, die auf Landesebene nur zum Teil. Doch vor allem die Haltung von Klaus Wowereit (SPD) zeigt, dass die Regierenden wenig Lust zeigen, tatsächlich Entscheidungsgewalt abzugeben. Beim Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens in Tempelhof verkündete er stets, dass ihm das Ergebnis egal sei. Und auch heute wird er bei jeder Frage nach Bürgerbeteiligung nicht müde zu betonen, dass er ein Anhänger der repräsentativen Demokratie sei. Das fördert nicht gerade die Lust der Berliner, sich in das aufwendige Verfahren zu stürzen.

Wegzudenken ist die Bürgerbeteiligung dennoch nicht mehr. Das zeigt der Koalitionvertrag, den SPD und CDU am Mittwoch unterzeichnet haben. Der will die direktdemokratischen Verfahren zwar nicht ausbauen. Aber auch Rot-Schwarz will die Bürger "aktiv beteiligen", heißt es in der Präambel. Bebauungspläne sollen gar im Internet zur Diskussion - und zur Abstimmung gestellt werden. GEREON ASMUTH

Der CDU, die ursprünglich gar nichts von Volkes Stimme wissen wollte, dürfte ein Rückschrauben der Bürgerbeteiligung auch äußerst schwerfallen. Schließlich hat sie sie in den Jahren der Opposition als Kampfmittel weidlich genutzt. Auch die CDU hat also von Rot-Rot profitiert - und nachhaltig dazu gelernt.

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