Nachhilfe in Sachen Urheberrecht

NETZ Ob die Piratenpartei frischen Wind in die Kulturpolitik bringen wird? Ein Ortstermin

Piraten kann man ein bisschen ärgern mit der Frage, ob in ihren Vorstellungen von der freien Zugänglichkeit von Inhalten das Wohl des Künstlers eigentlich berücksichtigt sei

VON RENÉ MARTENS

Die Restaurant-Kette „Feuerstein“ ist mit ihren halbdunklen Räumen eigentlich die Gegenthese zu jeder Art von moderner Gastronomie. Insofern ist es ein kleiner Widerspruch, dass sich in einer der Filialen, am Neuen Pferdemarkt im Hamburger Stadtteil St. Pauli, eine politische Gruppierung trifft, der man nicht zu nahe tritt, wenn man ihr nachsagt, sie habe den Anspruch, modern zu sein: die Piratenpartei. Ein Grund dafür, dass der Partei der Laden sympathisch ist, könnte der „Luxus-Brunch“ sein, für den man hier am Sonntag nur 6,90 Euro hinblättern muss. Ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das, übertragen auf den Vertrieb von Kulturprodukten, im Sinne der Piraten sein dürfte. Einer der anwesenden Parteifreunde wird jedenfalls später sagen, bei Musik und Film mangele es an „fairen“ Online-Angeboten.

2009 ist die Piratenpartei zu einem Medienphänomen geworden, nicht zuletzt dank ihrer Erfolge bei der Bundestagswahl, und die Frage ist jetzt, was im neuen Jahr davon bleiben wird.

Das öffentliche Bild wird oft von Mitgliedern oder Sympathisanten geprägt, die den sogenannten Trolls zuzurechnen sind. Wenn die taz über die Partei schreibt, stehen solche Netz-Rabauken Gewehr bei Fuß und schimpfen auf der Internetseite im rüdesten Ton. Die Mitglieder der Piraten auf trolliges Verhalten im Netz zu reduzieren, wäre aber natürlich ungerecht. Wer sich ein Bild machen will vom Alltag der Partei und der gern so bezeichneten Politik vor Ort, kann old-school-mäßig offline einen der Stammtische aufsuchen, die nicht nur im „Feuerstein“ stattfinden.

Neuer Kapitalismus

Seit der Bundestagswahl gibt es sie überall im Lande. Auf St. Pauli treffen sich die Parteifreunde alle zwei Wochen am Montagabend. Acht bis zehn Piraten kommen regelmäßig, sagt Andreas Gerhold, der ein Palästinensertuch trägt und als Berufsbezeichnung „derzeit Hausfrau“ angibt. Die Stammtische, eine Art Vorstufe zum klassischen Ortsverein, habe man eingerichtet, nachdem der Andrang bei den öffentlichen Vorstandssitzungen zu groß geworden sei, um noch vernünftig diskutieren zu können, sagt er.

Piraten kann man ein bisschen ärgern mit der Frage, ob in ihren Vorstellungen von der freien Zugänglichkeit von Inhalten eigentlich das Wohl des Künstlers berücksichtigt sei. In der Partei sei „niemand gegen Kulturförderung“, sagt Andreas Gerhold daraufhin beispielsweise. „Wir wollen die Künstler stärken, aber den Einfluss der Industrie reduzieren“, ergänzt Christian Jonka, der als Unternehmensberater in der IT-Branche tätig ist. „Die Besitzstandswahrer der Contentindustrie“, wie sie vier Piraten in einem Gastbeitrag für „Zeit online“ nennen – das sind die großen Gegner. Daraus einen kapitalismuskritischen Unterton herauszuhören, wäre falsch. Jonka etwa findet es nicht in Ordnung, dass Künstler oder Label von YouTube ein Entgelt dafür verlangen, dass die Video-Plattform deren Songs nutzt. Das sei schließlich Werbung für die Musiker. Dieses Denkmuster findet man bei Experten, die sich mit dem digitalen Wandel beschäftigen, immer wieder: Der „alte“ Kapitalismus, für den etwa die Major Companies stehen (die gewiss viel Häme verdient haben), ist doof, der vermeintlich neue, repräsentiert unter anderem durch die Google-Tochter YouTube, jedoch cool.

Dies Argument mag vor ein paar Jahren noch plausibel geklungen haben. Über mangelnde „Werbung“ kann sich nämlich mittlerweile kaum noch ein Musiker oder Label beklagen, sofern sie in der Lage sind, soziale Netzwerke, spezielle Foren und Mailinglisten zu nutzen. In der Währung Aufmerksamkeit werden sie bestens bezahlt, nur sonst nicht. Gerade viele Indiemusiker genießen heute eine Präsenz und auch Popularität, von der sie vor fünf Jahren nicht zu träumen wagten; andererseits verdienen sie mit ihrer Musik so wenig Geld, wie sie es sich in ihren schlimmsten Albträumen vor fünf Jahren nicht hätten ausmalen können.

Das heißt wiederum nicht, dass es im Kulturbetrieb keine Sympathien für die Piraten gibt. Bernd Sonneck beispielsweise, der beim Sachbuchverlag UVK in Konstanz für neue Medien zuständig ist, lobt die neue Partei. Sie sei die einzige, die sich in angemessenem Umfang damit auseinandersetze, „wohin für unsere Branche die Reise geht“. Das will etwas heißen, denn der UVK-Mann ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Dettingen-Wallhausen.

Sein Verlag – Spezialgebiete: Soziologie, Kultur- und Medienwissenschaft – hat eine Affinität zu den neuen Geschäftsmodellen, die die Piratenpartei vielfach propagiert. Als erster Verlag hierzulande hat UVK in diesem Jahr ein E-Book kostenlos angeboten, um zu testen, inwieweit sich das auf den Verkauf des physikalischen Produkts auswirkt. Die Wahl fiel auf „Humboldts Albtraum. Der Bologna-Prozess und seine Folgen“ – zu einem Zeitpunkt, als die Studentenproteste noch nicht ausgebrochen waren und das Schlagwort Bologna-Prozess noch kaum verbreitet war. Das Experiment habe sich bewährt, sagt Sonneck, der Absatz der Druckausgabe sei gestiegen. Er habe zeigen wollen, dass solche Wege auch kleine Verlage gehen können und nicht nur Größen der Kulturbranche, also Bands wie Radiohead oder Nine Inch Nails.

Eva Kiltz, die Geschäftsführerin des Verbandes Unabhängiger Musikunternehmen (VUT) in Berlin, kann mit Sonnecks Lob für die neue Partei und dem Rundumschlag gegen das übrige Politgewerbe wenig anfangen. Es gebe in einigen – wenn auch nicht in allen – Parteien „Einzelakteure, die seit drei, vier Jahren das Thema Digitalisierung in all seinen Facetten auf dem Schirm haben“. Allerdings finde man deren konkrete Positionen nicht in den Parteiprogrammen wieder, die Passagen zu dem Thema seien dort „wenig greifbar, um es nett zu formulieren“. Hinzu kommt, dass man bei den Experten der etablierten Parteien den Eindruck habe, „dass sie über etwas sprechen, was sie nicht ausprobieren“. In dieser Hinsicht seien die Piraten im Vorteil; denen aber wiederum seien leider „die Grundlagen des existierenden Urheberrechts sowie die wirtschaftlichen Realitäten der Kunstschaffenden gar nicht klar“, sagt Kiltz. Offensichtlich fehle der Partei ein „Berater, der sich damit auseinandergesetzt hat“.

Die VUT-Geschäftsführerin hat vor einigen Monaten im Wiki der Piraten verfolgt, wie die Partei dort basisdemokratisch ihre Position zum Urheberrecht formuliert hat. „Wie das so ist bei solchen Verfahren, verbreiten sich falsche Annahmen“, sagt sie. Das sei schade, denn „der Ansatzpunkt, dass eine neue Generation mit bestimmten Medien anders umgeht“, sei ja grundsätzlich richtig. Mit anderen Worten: Auf kulturellem Gebiet hat die Partei Stärken in der Praxis, aber Defizite in der Theorie.

Angenehm studentisch

Vielleicht ist das aber noch ihr geringstes Problem. Parteimitglied Thorsten Förster aus Rendsburg, im Internet unter dem Namen Pantoffelpunk unterwegs, konstatiert jedenfalls, dass es der Partei generell an politischem „Profil“ mangele. Der Blogger gehört zu jenen Piraten, die sich explizit links positionieren, den Rechtspopulisten Aaron Koenig, der dem Bundesvorstand der Partei angehört, hat er oft attackiert. Förster ist es wichtig, dass die Partei sich wenigstens grob zu sozialpolitischen Grundsätzen bekennt, Recht auf Arbeit, bedingungsloses Grundeinkommen – das sind seine Stichworte. „Ich will wissen, wo die Partei steht.“

Eine Forderung, die angesichts der im Mai in Nordrhein-Westfalen bevorstehenden Landtagswahlen nicht verkehrt zu sein scheint. Es sei immer noch „schwierig, die Partei als Gesamtheit wahrzunehmen“, sagt er, aber zumindest in Schleswig-Holstein gebe sie ein positives Bild ab: Bei den Stammtischen in Rendsburg und Kiel, bei denen er regelmäßig dabei ist, sei eine „angenehme studentisch-linksliberale Klientel“ anzutreffen, einige seien „auch weiter links“ einzuordnen.

Wenigstens in kulturpolitischen Fragen hinterlasse die Partei einen halbwegs geschlossenen Eindruck, sagt Förster, hier werde „weniger feindselig gestritten als in anderen Bereichen“. Was ihr aber offensichtlich fehlt, ist der Kontakt zu jenen, die Kultur produzieren.

Die gehen auch nicht so gern ins „Feuerstein“.