Schleswig-Holstein wird betoniert: Flächenfraß ohn' Unterlass

Bauern und Umweltschützer beklagen Landverluste. Bald könnte sich das Problem verschärfen, denn das Land überträgt die Planungsaufgaben den Kommunen.

Bagger frisst Nutzfläche: Umweltschützer und Bauern wollen sich dagegen wehren. Bild: dpa

KIEL taz | Vor den Autos rollen die Bagger: Für neue Straßen verschwindet täglich Erdboden unter Beton, ebenso für Gewerbe- und Wohngebiete. Fünf Hektar Fläche, das sind etwa sechs Fußballfelder, werden jeden Tag allein in Schleswig-Holstein versiegelt, das Land verliert damit laut Landwirtschaftsministerium prozentual unter allen Flächenländern am meisten Boden.

Der Flächenfraß beschäftigt nicht nur die Umweltschützer, sondern auch die Landwirte, die doppelte Verluste beklagen: Ihnen gehen zusätzlich Nutzflächen verloren, die zum Ausgleich für Straßen- oder Städtebau unter Naturschutz gestellt werden. Und in Zukunft kann sich die Lage noch verschärfen: Denn das Land legt die Planung, wie welche Flächen genutzt werden, in die Obhut der Kommunen und verliert damit an Einfluss.

"Die Gefahr ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass der Blick aufs Ganze durch diese Kommunalisierung nicht befördert wird", sagt Christian Seyfert, Sprecher des Landwirtschaftsministeriums. Andererseits könnten die Akteure in den Regionen "viele Dinge besser überblicken", daher sei es zurzeit schwer, ein Ergebnis vorherzusagen.

Die Idee, die Regionalplanung an die Kreise und Städte zu übertragen, passt zu anderen Kommunalisierungen, die die schwarz-gelbe Regierung in Kiel in den vergangenen Jahren vollzogen hat, unter anderem in der Behinderten- und aktuell in der Suchthilfe. Politisches Ziel ist, die Landesbürokratie zu verschlanken. In Euro und Cent zahlt sich das zumindest kurzfristig nicht unbedingt aus: "Für das Land wird die Kommunalisierung der Regionalplanung um rund 750.000 Euro jährlich teurer", teilt das verantwortliche Innenministerium mit. Zwar spart das Haus Personalkosten von einer halben Million Euro, zahlt aber 1,2 Millionen an die Kommunen für deren Mehrarbeit.

Nach Angaben des Bauernverbandes gehen täglich bundesweit 90 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche verloren, in Schleswig-Holstein zehn Hektar.

Die versiegelte Fläche beträgt laut Ministerium rund fünf Hektar täglich.

Von 2000 bis 2009 wurden in Schleswig-Holstein rund 9.400 Hektar neu versiegelt.

Als versiegelt gelten in einem Wohngebiet 27 und auf Straßen 50 Prozent der Gesamtfläche.

Schleswig-Holstein hat einen Anteil an Siedlungs- und Verkehrsfläche von 11,2 Prozent, der Bundesschnitt liegt bei 12,3 Prozent.

Die inhaltlichen Folgen bewertet Hans-Jörg Lüth, Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND, als höchst problematisch: "Je enger die Planer bei den Betroffenen sind, desto größer ist die Gefahr, dass etwas schiefgeht." So könnten Gemeinden, in einen "Wettlauf um billige Ausgleichsmöglichkeiten" einsteigen und Standards unterlaufen. "Viele Entscheidungen werden nicht mehr kontrollierbar sein", fürchtet Lüth. Hinzu kommt - so beklagt es der Naturschutzbund Nabu - dass das Land in vielen Bereichen ohnehin den Naturschutz zugunsten der Landwirte einschränke.

Dennoch sehen die Bauern sich durch die Flächenverluste bedroht. Gute zehn Hektar Nutzland gingen ihnen täglich verloren, sagt Bauernpräsident Werner Schwarz. Er fordert ein Gesetz, das den Landfraß stoppt. Eine bundesweite Initiative begleiten die Landwirte im Norden mit einer Unterschriftenaktion.

"Das Ziel, den Flächenverbrauch zu verlangsamen, eint uns", sagt Ministeriumssprecher Seyfert. Ein neues Gesetz sei aber nicht "der glücklich machende Weg". Das Ministerium plant, den täglichen Verbrauch auf 1,3 Hektar zu reduzieren. Dazu wurden jüngst "Handreichnungen" an die Kommunen verteilt, mit Tipps, wie sich brachliegende Fläche erkennen und neu nutzen lässt. Auch setzt das Ministerium auf die "Aufwertung" bestehender Naturschutzgebiete, um Bauwerke auszugleichen.

Naturschützer bewerten das kritisch. Hans-Jörg Lüth erinnert an einen Musterprozess gegen die Stadt Hamburg, es ging um die "Aufwertung" einer Fläche als Ausgleich des zugeschütteten Mühlenberger Lochs. "Es kann nicht sein, dass die immer gleichen drei Quadratmeter erst Rasen, dann Feuchtwiese, dann Moor sind und immer neue Bauten ausgleichen", sagt Lüth. Die Flächenkonkurrenz machten sich seiner Meinung nach die Landwirte vor allem untereinander: "Den Milchbauern fehlen die Wiesen, weil die Nachbarn Mais für Agrargas anbauen."

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