Pressestimmen nach dem Euro-Gipfel: Briten streiten über Veto
Nach seiner Absage an einen EU-Haushaltspakt fürchten die Kommentatoren, dass Premier Cameron sein Land isoliert. So würde er auch der Finanzindustrie schaden.
DUBLIN taz | Das Nein von Großbritanniens Premierminister David Cameron auf dem EU-Gipfel in Brüssel Ende vergangener Woche sorgt in seiner Heimat für jede Menge Aufregung. Zwar stellten sich in einer Umfrage der Mail on Sunday 62 Prozent der Briten hinter Cameron.
Die Kommentatoren der großen Zeitungen zeigten sich jedoch mehrheitlich entsetzt. Ebenso der Koalitionspartner des Tory-Premiers: Camerons liberaler Stellvertreter Nick Clegg erklärte, er habe es "nicht glauben können", die Entscheidung sei falsch.
Großbritannien hatte sich bei dem EU-Spitzentreffen geweigert, sich an einem zwischenstaatlichen Pakt für einen strikten Sparkurs zum Schuldenabbau zu beteiligen. Die von Deutschland angestrebte Vertragsveränderung mit allen 27 EU-Staaten kam deshalb nicht zustande, nur die 17 Euro-Länder schlossen eine Verpflichtung ab.
Der Premierminister habe "Großbritannien in eine Isolation manövriert, die selbst Margaret Thatcher stets vermieden hat", schreibt der politische Kommentator John Lichfield im Independent. "Nun haben die euroskeptischen Haie auf den Hinterbänken Blut geleckt." Bei einer solchen Stimmung sei selbst der Rückzug aus der EU nicht mehr undenkbar.
"In Wirklichkeit ein Todesstoß"
Das sieht auch der Guardian so. Cameron habe Großbritannien in die tiefste Ungewissheit seit einer Generation gestürzt. "Wir haben beschlossen, 26 Länder wichtige Entscheidungen ohne uns treffen zu lassen." Wenn Cameron die Londoner City als bedeutenden Finanzmarkt habe schützen wollen, könnte er ihr in Wirklichkeit den Todesstoß versetzt haben, denn "ein Anziehungspunkt für ausländische Investoren war Großbritanniens Stellung in Europa", vermutet der Guardian.
Lionel Barber, Chefredakteur der Financial Times, fragt sich, warum Cameron das Veto zu diesem Zeitpunkt einlegte: "Er hätte wie die Tschechen, Slowaken und Ungarn warten und mit unseren Partnern verhandeln können." Barber glaubt allerdings, dass Großbritannien binnen zwei, drei Monaten wieder am Verhandlungstisch sitzen wird.
Nur die Sun jubilierte: "Cameron hat die europäischen Schlägertypen mit einem sensationellen Stinkefinger im Stile Winston Churchills abgefertigt." Im Leitartikel von Tom Newton Dunn hörte sich das dann aber schon anders an: "Unser verängstigter Premier hat nur deshalb ein Veto eingelegt, weil er es musste. Die Euroskeptiker in seiner Partei hätten den verzweifelten Dave sonst gestürzt."
Dass die Liberalen, die als europafreundlichste aller britischen Parteien gelten, zwar den Abbruch der Gespräche bedauerten, ihn aber nicht als Grund zur Aufkündigung der Koalition mit den Tories sehen wollten, kritisiert der Guardian. Clegg müsse langsam ein Licht aufgehen, dass er lediglich Mehrheitsbeschaffer für die Tories sei.
Mit afp, rtr
Leser*innenkommentare
Otto Pardey
Gast
Die neue Euro-Diktatur!
Die EU-Politiker setzen sich zusammen und ent-
scheiden über die Köpfe der Bürger in Europa hin-
weg.
In Deutschland wird staatlicherseits die Pressefreiheit eingeschränkt indem Polizeibeamte
Journalisten dazu zwingen unliebsame Fotos welche
Übergriffe gegen Bürger beweisen,aus ihren Kameras zu löschen.
Verpasste Chancen
Gast
Sehr schade, ist es für die Briten doch ohnehun nicht mehr vermeidbar dem Euro beizutreten. Die letzte Krise hat gezeigt, wie sehr das Pfund in die Tiefe gerissen wurde. Wer mag da sein Geld noch in Pfund halten?
Herb ist alledings auch Camerons Haltung zur Finanztransaktionssteuer. Ohne London wird es diese auch hier nicht geben, da hier Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten sind, wenn wir hierzulande eine Steuer einführen, die die Geschäfte in London ohne diese Steuer billiger machen würde.
Es wäre vernünftiger gewesen, wenn Cameron die Prüfung eines Beitritts zum EURO ausgehandelt hätte und dafür die Position der EU-Mitgliedsstaaten zur Transaktionssteuer nochmals überprüft worden wäre.
Wie werden die Finanzmarkttransaktionssteuer damit auf keinen Fall mehr bekommen - und wir hätten sie wahrscheinlich auch aufgrund der Verhandlungsposition der Briten auch mit einer Kooperation der Briten zur Fiskalunion nicht bekommen. Cameron verhandelte aber wie ein Tollpatsch.
Claus
Gast
Clegg weiss inzwischen, dass ihn die Tories nur als billigen Mehrheitsbeschaffer betrachten. Da ein Bruch der Koalition aber zu Neuwahlen und einer katastrophalen Schlappe für die Liberalen führen würde, ist er derzeit auch genau das und nichts anderes.