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Michael Hardt in der Berliner VolksbühneDer Jakobiner im Plüsch

Was fangen wir mit der Krise an? Occupy! Verhaltener Beifall. Natürlich erklärt das nichts. Aber so ist das mit einem Begriff, der nach Bedarf umgedeutet wird.

Michael Hardt beschreibt den Blues des Lebens in der Volksbühne. : dpa

Es fehlten die Adventskränze. Sonst hätte für den Fotografen alles gestimmt. Schwere grüne Sessel, Kerzenlicht, knapp achtzig Gäste, Durchschnittsalter unter 25, wenige graue Köpfe. Die Kapuzenjugend der Stadt bei einem vorweihnachtlichen Beisammensein. Auf der Bühne ein Amerikaner, dessen Patchwork-Bildungsgeschichte verwirrend klingt. Viel probiert, manches verworfen, von Praxis bis zur Theorie der kommenden Aufstände.

Michael Hardt hält die Luxemburg Vorlesung zur Frage, was wir mit der Krise anfangen. Er gibt darauf zwei Antworten, die eine in fünf Sekunden, für die andere braucht er zwei Stunden.

Was fangen wir mit der Krise an? Occupy! Verhaltener Beifall. Natürlich erklärt das nichts. Aber so ist das mit einem Begriff, der selbst umgedeutet und besetzt worden ist, wie die Plätze da draußen mit ihren Zeltdörfern. Revolte als Beruf und Berufung.

Auf den Plätzen von Kairo über Madrid bis zur Wall Street sieht Hardt eine politische Kettenreaktion im Gang, eine Inspirationswelle. Sie antwortet auf die Krise. Er beschreibt ihre subjektiven Dimensionen in vier Leitbegriffen.

Ohne Schulden läuft nichts

Verschuldung ist heute universell. Der Start ins Berufsleben überschattet von einem Schuldenberg, auf den sich bald weitere Schulden türmen. Der Vortrag wird konsekutiv übersetzt. In den Pausen spielt Hardt einen Narziss, dem der Spiegel fehlt. Er krault sich versonnen die Haare, kitzelt sich im Nacken, hinter den Ohren, die Unterarme. Der Körper des Denkers besetzt sich in diesen kurzen Pausen selbst. Occupy.

Heute halte das Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern die Welt in der Zwinge. Nicht der Tausch zwischen Freien auf dem Markt, sondern Schuldverhältnisse zementierten die Ungleichheit. Dem Ausgebeuteten folgt als soziale Figur der Schuldner, ein Konsument, kein Produzent. Die Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner begründet eine Zinsknechtschaft, überwölbt vom Sündendiskurs und dem disziplinierenden Mechanismus der Schuld, Nietzsches Moral gekoppelt mit Webers Arbeitsethik.

Die Vermittelten

Wir sind medial vermittelt. Die sinnlichen Erfahrungen werden dünner (streichelt sich hinter dem linken Ohr). Wir schreiben keine Briefe mehr. Kurze Nachrichten, Mails geben knappe Auskunft. Das "like", das elektronische Befreunden und Entfreunden mit Wildfremden haben die Idee und die Wirklichkeit von Freundschaft verändert. Die Vermittlung der Vermittelten hinterlässt eine endlose Datenspur von Vorlieben und Abneigungen. Es geht nicht mehr um einen emphatischen Begriff der Informationsfreiheit, nicht um Leidenschaft und authentischen Ausdruck. Unter dem Zwang zum Sichvermitteln verwandelt sich die Entscheidung zu schweigen in einen Freiheitsakt.

Die Gesicherten und Versicherten

Die Datenspuren lenken den Blick auf die Sicherheitsregimes. Du wirst aufgezeichnet, ohne Ende. Alles wird gesammelt und kann gegen dich verwendet werden (streicht den eigenen Haarschopf). Mit deinem eigenen Zutun. In dir vereinigst du den Insassen des Regimes mit seinem Wärter.

Die Vertretenen

Die Idee der Repräsentation zieht die Grenze zwischen Repräsentanten und den von ihm Vertretenen. In ihr finden die Dimensionen des Schuldverhältnisses, der Vermittlung und der Gesicherten zusammen. In das Prinzip der Repräsentation seien der Verrat, die Korrumpierbarkeit eingebettet. Die Idee der Repräsentation habe sich von der Lebenswirklichkeit abgekoppelt. Egal wohin du schaust, die Teilhabechancen dünnen aus. Die Idee der Repräsentation verbinde dich mit der Macht und trenne dich zugleich von ihr.

Schulden verwehren den Blick auf die Produktivität, Mediatisierung verstelle den Gebrauch der eigenen Intelligenz, das Sicherheitsregime den Weg zum politischen Handeln. Traurig sei das, aber wahr. (Streicht sich durchs Haar.)

Gegenwehr ermögliche neue soziale Bindungen jenseits von Schuldverhältnissen. Es folgt ein Ausblick auf die heutigen politischen Konflikte, auf neue Formen direkter Demokratie, eine Souveränitätserklärung der vielen von unten.

Hardt erinnert an einen Slogan der argentinischen Massenproteste von 2001: "Unsere Träume passen nicht in eure Wahlurnen." Damals waren seine Zuhörer in den Plüschsesseln des Grünen Salons noch Kinder. Heute sind sie gebrannte Kinder. Desillusionierte Träumer. Sie erleben, wie die Idee der Repräsentanz durch die Macht selbst demontiert wird. Die republikanische Substanz liegt in Trümmern.

Hardt beschreibt den Blues der Situation, liefert vage Begriffe für das Lebensgefühl der nächsten Jakobiner. Er ist kein Danton, kein Robespierre. Aber er scheint in ihren Kapuzen die phrygischen Mützen der Aufständischen zu erkennen. Streichelt sich den Nacken.

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