Sangerhausen ist Weltmeister

Wer hätte gedacht, dass die Zwillingsbrüder Mike und Steve Pfaffenberger aus Sachsen-Anhalt den Radball-Sport weltweit dominieren

FREIBURG taz ■ Als das Ende gekommen und doch noch alles gut geworden war, kannte die Euphorie keine Grenzen mehr. Die rund 6.000 Zuschauer in der Freiburger Messehalle machten Rabatz für mindestens 10.000. Unten auf dem hölzernen Parkett hüpften die Brüder Pfaffenberger auf ihren etwas seltsam anmutenden Fahrrädern umher und konnten gar nicht genug bekommen vom wilden Tamtam, das da nur ihnen zuliebe veranstaltet wurde. Gerade hatten sie das Team Tschechiens mit 5:3 geschlagen im letzten und alles entscheidenden Spiel. Sie hatten damit alles erreicht, was sie immer erreichen wollten: Mike und Steve Pfaffenberger, die Zwillingsbrüder aus Sangerhausen in Sachsen-Anhalt, waren Weltmeister im Radball. Endlich! „Darauf haben wir hingearbeitet“, sagte Mike, und man konnte sehen, wie sehr er von der Größe des Augenblicks ergriffen war.

Es war ja auch ein hartes Stück Arbeit. Denn Deutschland ist mit seinen rund 3.000 Teams und nunmehr zwanzig gesammelten WM-Titeln im internationalen Vergleich zwar ein Land der Radballer, aber das merkt niemand. Wer Radballer ist, muss automatisch auch Idealist sein – und die Pfaffenbergers sind große Idealisten. Denn trotz ihrer bereits zahlreichen internationalen Erfolge haben sie kaum Sponsoren. „Wir müssen alles selbst tragen“, sagt Mike Pfaffenberger. Ein bisschen anklagend klingt das schon. Die Radball-Fahrräder sind teuer – bis zu 1.800 Euro –, die Reisekosten am Wochenende zu den Turnieren, mehrere tausend Kilometer im Jahr, nicht gering. „Da summiert sich ganz schön was zusammen“, sagt Mike. Wenn da nicht Vater Axel wäre, der nicht nur Trainer seiner Söhne, sondern auch deren Hauptsponsor ist, vom Bafög allein könnten die beiden Studenten – Mike studiert Sport und Spanisch in Halle, Steve Wirtschaftswesen in Erfurt – ihren Sport nie und nimmer bestreiten. Ganz im Gegenteil: Durch ihr sportliches Engagement, gerade bei Turnieren am Wochenende, bleibt studientechnisch doch das ein oder andere liegen. Nach dem nächsten, dem vierten Semester stehen Zwischenprüfungen an – und wenn da nicht alle Scheine gemacht sind, hat sich auch die Sache mit dem Bafög erledigt. „Dann“, sagt Mike, „sieht es ganz mau aus.“

So ist das nun mal in Deutschland in einer Sportart, die nicht olympisch ist und schon gar nicht in den Medien vorkommt. Dabei ist Radball für die Zuschauer kein unattraktiver Sport, ganz im Gegenteil. Was die Pfaffenbergers da auf zwei Rädern und mit dem mit Rosshaar gefüllten Ball vollführen, ist Artistik pur und äußerst spektakulär. Wie sie hüpfen und kurven und vorwärts fahren und auch rückwärts, wie sie den Ball abschirmen und ihn sich zupassen und wie sie schließlich mit dem Vorderrad schießen und den rund 500 Gramm schweren Ball dabei auf bis zu 70 Stundenkilometer beschleunigen und ins Toreck feuern – das kann eine Halle schnell zum Köcheln bringen. Bei der WM in Freiburg war das jedenfalls drei Tage lang der Fall.

„Das ist Leistungssport“, sagt Steve Pfaffenberger, der etwas kräftig gebaut und deshalb der Torwart ist. Wer je ein Radballspiel gesehen hat, wird keinen Zweifel an diesen Worten hegen. 22 Jahre sind Steve und Mike alt. Dass sie nun schon Weltmeister sind in einer Sportart, in der Erfahrung wichtig ist, ist ungewöhnlich. Andererseits: Die Pfaffenberger-Zwillinge radballern, seit sie neun sind, an Erfahrung also mangelt es ihnen nicht. Vielmehr zehren sie heute davon, dass ihr Talent früh entdeckt, gefördert und damit der Grundstein für die heutigen Erfolge gelegt wurde. Mehr als zweimal gemeinsames Training in der Woche ist ihnen derzeit nicht möglich, dafür liegen Erfurt und Halle doch zu weit auseinander, zumal zu Hause in Sangerhausen geübt wird.

„Normalerweise geht das nicht“, sagt Mike – und meint damit das im Vergleich zu anderen Spitzenteams relativ knapp bemessene Training und die dennoch stattliche Anzahl an nationalen wie internationalen Erfolgen. Zumal es den Pfaffenbergers an halbwegs ebenbürtigen Trainingspartnern fehlt und sie unter der Woche dadurch lediglich die Schüsse, das Passspiel sowie die Ecken üben können, die Standards quasi. Den Rest, also das taktische Rüstzeug, holen sie sich ausschließlich am Wochenende auf Turnieren. „Unser bestes Training ist der Wettkampf“, sagt Mike. Und er sagt auch den deutschen Fußballnationalspieler-Satz: „Wir sind eine Turniermannschaft.“

Bei der WM in Freiburg haben sie das einmal mehr unter Beweis gestellt. FRANK KETTERER