Kolumne Blagen: Besinnungsloses Mütter-Gelaber

Wie unglaublich Fortpflanzungsdiarrhöe in der S-Bahn nervt.

Ich hätte nie gedacht, dass mich das mal dermaßen nerven würde. In einem früheren Leben, ja, da hab ich selbst diesen Quatsch verzapft und meine Umwelt ungebeten mit Schnurren aller Art über mein Privatleben unterhalten. Und auch ich habe dafür gern als Forum die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt. Quasi steuerlich subventionierte Öffentlichkeit.

Morgens in der S-Bahn eine mir bekannte Kita-Mutter zu treffen war für mich der Startschuss für besinnungsloses Gelaber über dieses und jenes aus dem Zusammenleben unseres vierköpfigen heteronormativen Schubverbandes. "Fortpflanzungs-Diarrhöe" hat das mal eine Kollegin maliziös lächelnd genannt, und ich habe danach sehr lange überlegt, ob ich mit dieser Person jemals wieder ein Wort wechseln sollte.

Heute sitze ich in der morgendlichen S-Bahn, und das Schicksal bestraft mich mit zwei Kita-Muddis, die den halben Waggon mit Beschreibungen ihrer gerade frisch auf Nachwuchs getrimmten Wohnungen unterhalten. Der Glastisch mit den scharfen Kanten wurde - Finn-Lukas zuliebe - gegen ein Ikea-Plastiktischchen ausgetauscht. Die Bildbände wurden aus den unteren Regalen geräumt, diese stattdessen für die dreijährige Marla mit Bilderbüchern bestückt. Und Grünpflanzen? Sorry, nicht solange die Kinder klein sind.

Schon recht, schon wichtig und richtig, und ganz gewiss ein Thema, das laut in der sonst so stillen Morgenbahn erörtert werden sollte. Es zwingt mich ja niemand, zuzuhören; und dass ich mal wieder meine Ohrböppel nicht griffbereit habe, ist nur gerecht, wenn man bedenkt, womit ich einst meine wehrlose Umwelt behelligt habe.

Üble Darmerkrankungen und Hautekzeme der Kinder habe ich öffentlich erörtert, stümperhafte Erzieherinnen, Lehrer und Kinderärzte geschmäht, privateste Privatissima gerade mal halblaut erörtert. Kommunikativ erfrischt stieg ich anschließend am Zielbahnhof aus, um in der Redaktion weitere wehrlose KollegInnen zu behelligen. Wie haben die das eigentlich ausgehalten, frage ich mich heute, während gerade neben mir die Vorteile von Kindersicherungen diskutiert werden.

Vielleicht hätte ich für meine kinderlose Umwelt jenes Ding griffbereit haben sollen, das sich die Einssechzigblondine zu Weihnachten wünscht. Dabei handelt es sich um eine Art dicken, blickdichten gesteppten Sack, den man sich über den Kopf zieht. Auf Ohrhöhe hat er zwei Eingriffschlitze, durch die man seine Hände stecken kann, um sich entweder die Ohren zuzuhalten oder - für Fremde unsichtbar - am Daumen zu lutschen oder in der Nase zu bohren. Maximale Abgeschiedenheit, äußerste Hässlichkeit und Unhöflichkeit in gesteppter Baumwolle.

Wenn man die Schnauze voll hat und - wenn schon nicht mimisch, so doch körpersprachlich - Genervtheit zum Ausdruck bringen möchte, kippt man mitsamt dem Kopfkondom nach vorn auf die Schreibtischplatte. Herrlich!

Fragt sich bloß, warum meine Tochter so etwas geschenkt bekommen will. Ist das das Ende aller Kommunikation? Der Anfang unseres endgültig nonverbalen Zusammenlebens? Ist sie nicht mehr interessiert an meinen interessanten Ausführungen zu den Themen Schule, Abwasch, Wäscheaufhängen? Dafür würde mir jedes Verständnis fehlen. Echt jetzt mal.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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