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Ein charmanter Frauenfilm, für den sich trotz des schlimmen Titels weder Sat.1 noch die Zuschauer schämen müssen: „Heimliche Liebe – Der Schüler & die Postbotin“ (20.15 Uhr, Sat.1)

Von Silke Burmester

372 Briefe pro Tag, das sind bei 320 Arbeitstagen 81.840 Briefe im Jahr. Der 17-jährige Joe ist ein prima Kopfrechner. Dass er zu solchen Höchstleistungen fähig ist, wenn sich von Kommastelle zu Kommastelle sein Orgasmus nähert, macht ihn um so attraktiver. Dass das Ergebnis nicht stimmt, schmälert den Reiz nicht, und so dauert es nur eine weitere kleine Multiplikation – 81.840 Briefe in 40 Jahren gleich 3.273.600 – bis auch die Postbotin keuchend das Austragen vergisst.

Joe (Kostja Ullmann) hat sich in Rosemarie (Marie Bäumer) verliebt, eine herbe Briefzustellerin, zwanzig Jahre älter als er und in festen Händen. Das hält den Schüler nicht davon ab, ihr so lange und charmant nachzustellen, bis sie sich auf ihn einlässt. Sat.1 versucht mit seinem Programm Frauen als Zuschauer zu gewinnen. Mittags und nachmittags werden dafür Talk- und Gerichtsshows gezeigt, am Abend öffnet sich die Fallgrube, in der Liebe und Romantik als Köder ausgelegt werden. Beim ZDF mutiert der Lockstoff regelmäßig zum erstickenden Brei aus Kitsch und Klischee, das Programm wird zur Sickergrube der Gefühle. Dass „Frauenfernsehen“ auch anders geht, beweist Sat.1 mit dieser Produktion.

Zwar wird mit dem Filmtitel jener unsägliche Schmonzettenweg beschritten, doch bleibt dies die einzige Peinlichkeit. Durch den Verzicht auf Weichzeichner, dramatischen Musikeinsatz und Gegenlichtaufnahmen kann die Kitschfalle umgangen werden, eine realistische Handlung und ebensolche Dialoge bewahren den Film vor dem ausgereizten Sujet der deutschen TV-Liebeskomödie. Sensibel werden von der Regisseurin Franziska Buch die Gegensätze, die durch den privilegierten Joe und die prollige Rosemarie verkörpert werden, zur Dramatisierung genutzt, ohne als belustigendes Abbild missbraucht zu werden. So gewährt Buch dem Zuschauer Einblick in die inneren Strukturen einer in vielerlei Hinsicht reichen Familie, die sich dennoch im Aushöhlungsprozess befindet, und dem sehnsuchtsvollen Innenleben einer Mittdreißigerin.

Dass der Film als „Frauenfilm“ funktioniert, liegt weniger an der Postbotin Rosemarie, die als Identifikationsfigur immer ein wenig zu schön, aber auch zu verstockt ist. Sondern an der Figur des Joe, der mit seinen vielschichtigen Begabungen eine Leichtigkeit verkörpert, die gänzlich uneitel ist. Weil Rosemarie mit sich und ihrem Leben eigentlich zufrieden ist, kann sie Joe respektvolle Anerkennung zollen und etwas tun, das sich sicherlich viele Frauen wünschen: Mit einem Liebhaber zusammen zu sein, ohne die Partnerschaft in Frage zu stellen. Die Hintergründe offenbart sie stellvertretend für Millionen von Frauen, als ihr Freund sie fragt: „Was findest du an ihm?“ „Dass er mich so sehr will.“ „Das will ich auch.“ „Das hast du mir aber nie gesagt.“