Drogenerfahrungen mit liberalen Eltern: "Du aber nicht, oder?"
Die unausgesprochene Abmachung mit den Eltern war: Tu, was du willst, aber lass dich besser nicht erwischen. Doch am Ende wurde es mehr als nur ein Zeitvertreib.
Über das Leben meiner Eltern als Spätjugendliche weiß ich nicht viel. Würden sie mir von ihren Eskapaden erzählen, müssten sie wahrscheinlich enorme Autoritätsverluste befürchten - ich glaube, sie waren Punks. Deshalb war auch ihre Erziehung in Bezug auf Drogen so schlicht wie fundiert. "Kiffen ja, alles andere nein."
Das bedeutet für Mädchen im lernfähigen Alter so viel wie: "Tu, was du willst, aber lass dich besser nicht erwischen." Drogen und Sex standen auf einer Stufe: Ich tat, was ich wollte, und redete nicht viel drüber. So ersparten wir uns gegenseitig die Stellungnahmen.
Meine Drogenkarriere begann mit dem ersten Silvester am Gymnasium. Vier frühreife Mädchen, die durch eine selbstgebaute Bong Gras rauchten und die ganze Nacht kicherten. Obwohl ich so tat, als ob, merkte ich nichts, wahrscheinlich ging es den anderen auch so - wir fanden uns so cool und unsterblich.
Wir gehörten zur Schul-AG "gegen rechts" und machten alles mit. Ich lernte, schnell viel Bier zu trinken und wie man Tüten baut, Bong raucht und dass nur Nazis und andere dumme Menschen Chemozeug nehmen. Dieses Credo hält sich bis heute.
Rauchen konnte nur altersgemäß sein
An meinem fünfzehnten Geburtstag lud ich alle potenziellen Partyfreunde zu mir nach Hause ein, meine Eltern stellten die Regeln auf. Jeder Gast durfte zwei Bier kriegen, alles andere sollen sie selbst mitbringen. Und um zwölf sind meine Eltern zum Gratulieren wieder zu Hause. So weit die Abmachung. Gegen acht brachte jemand Engelstrompete zum Rauchen mit.
Das war ja keine chemische Droge, sie zu rauchen konnte nur altersgemäß sein. Während ich also besonders cool und lässig rauchte, erzählte mir jemand die Geschichte des Mannes, der eines Nachts das Gleiche tat. Er ging in seinen Schuppen, schmiss die Motorsäge an und hackte sich den Arm ab. Der Abend war gelaufen.
Meine Freunde sangen das Ständchen auf dem Klo, meine Mutter hielt mir die Haare. Die Nacht wurde nie wieder thematisiert. Bis heute denken meine Eltern, ich hätte kalten Glühwein getrunken. Ihnen die Wahrheit zu sagen, hätte weitreichende Konsequenzen haben können. Womöglich hätten sie mich für süchtig gehalten und mich noch mehr kontrollieren wollen.
Ein bisschen legal
Lange Zeit dachte ich, dass dieser kindische Quatsch irgendwann automatisch ein Ende hätte. So wie bei meinen Eltern eben. Und deshalb kiffte ich viel und noch mehr, bevor es zu spät sein würde. Ich fand, dass Alkohol und Cannabis im Prinzip eins sind, nur dass das eine ganz und das andere ein bisschen legal ist.
Anders als mit meinen Kiffkumpanen habe ich diese Ansicht noch nie mit meinen Eltern diskutiert. Und solange mir nichts passiert, reicht es ihnen auch, bei dramatischen Geschichten aus dem Umfeld Zeigefinger und Augenbrauen zu heben und "Du aber nicht, oder?" zu fragen. Mir jedenfalls reicht es. Wieder.
Dieses jugendliche stille Genießen hätte ewig so weitergehen können. Ich lernte gute Menschen kennen, führte seichte und tiefe Gespräche, hörte die immergleiche Musik. An den Wochenenden, in stressigen Zeiten, während des Abiturs, in unstressigen Zeiten, wenn ich unendlich verknallt war oder als Zeitvertreib zwischendurch - wenn was da war, rauchte ich es, wenn nicht, dann machte ich mich auf die Suche.
Gras fürs Gassigehen
Nach der Schule aus meiner Heimatstadt rauszukommen, entfachte meine postgymnasiale, jugendliche und sommergetränkte Fantasie und ich malte mir ein neues, endlich sorgenfreies Leben mit meinem sorgenvollen Freund in meiner ersten Wohnung aus. Der Typ, der über uns wohnte, hatte drei herausragende Eigenschaften: Er konnte Haare schneiden, besaß einen Hund namens Angel und er war bereit, mich fürs Gassigehen mit Gras zu entlohnen.
Ich ließ mir also die Haare immer kürzer schneiden, begann eine Romanze mit dem Hund und hatte immer genug Zeug zu Hause, um in einem sehr einfachen Rhythmus zu leben. Vormittags tat ich, als studierte ich, die Nachmittage verbrachte ich mit Angel, und abends kifften wir uns in den Schlaf. Mama und Papa waren weit weg, die kriegten nicht mit, wenn ich über Wochen völlig breit ins Bett ging. Und ich kriegte nicht mit, wie aus dem schönen Zeitvertreib ein Katalysator für meine ohnehin nicht wenigen Probleme wurde.
Am Ende des ersten Winters in der neuen Stadt war ich fest davon überzeugt, dass mein Leben langweilig und wertlos sei, Angel und ich dringend nach Israel auswandern müssten und dass meine regelmäßigen Panikattacken frühkindlichen Defiziten entspringen.
Meine Eltern kamen als Nothaken nicht infrage, sie hätten mich ja sonst für süchtig gehalten und noch mehr kontrollieren können. Ich fand mich erwachsen genug, auf keinen Fall sollten sie mich in meinem schwächsten Moment für schwach halten. Kiffen wurde zum Zuckerersatz. Es brachte mich auf einen erträglichen Pegel, aber wenn die Wirkung nachließ, hatte ich noch weniger Glückshormone als vorher. Und um die wahren Probleme anzugehen, dafür war ich zu paralysiert.
Die Rettung war die WG
Der Weg nach draußen dauerte fast ein Jahr und war voller Rückfälle. Ich machte eine Therapie, zerstritt mich bis zum eisigen Schweigen mit meinen Eltern, trennte mich von meinem Freund, versuchte immer wieder mit dem Rauchen aufzuhören, hielt mich mit Süßigkeiten über Wasser und konzentrierte mich, so gut es ging, auf mein Studium.
Die Rettung war eine WG. Dort fand ich Freunde, die bereit waren, Abende mit Krisensitzungen zu verbringen und die praktischerweise wegen Asthmas nicht kiffen wollten. Mit ihnen habe ich getanzt. Wir zogen durch die Clubs, und ich eroberte nachts die Schönheit des Lebens zurück. Heute rede ich glücklicherweise wieder mit meinen Eltern.
Aber nicht übers Kiffen. Es war damals zwar nicht der Grund für meine Traurigkeit, aber sicher einer der Auslöser. So habe ich es mir zusammengebastelt. Ich befürchte, meine Eltern könnten mir dieses Konstrukt kaputtmachen. Also sage ich nichts. Ich frage sie ja schließlich auch nicht nach ihren Drogenerfahrungen.
Leser*innenkommentare
...
Gast
"nur Nazis und andere dumme Menschen Chemozeug nehmen. Dieses Credo hält sich bis heute."
Was ist das denn für ein Schwachsinn?
Warum sollte Chemie automatisch gefährlicher sein als Natur? Diesen unreflektierten Schmarrn hätten Sie sich sparen können.
ruubn
Gast
ABBY_THUR hat anscheinend nicht das geringste Textverständnis. Arm...
Karl K
Gast
Nachklapp!
Da man Mathias Bröckers " Wer heilt, hat recht"
Und seine Aussage , daß THC " das Wachstum
neuer Gehirnzellen anrege" nicht kommentieren kann,
soll's hier mal sein.
Für diese Aussage fehlt m.E. jeglicher Beleg.
( vgl auch insoweit der Leserbrief von Eva Zwerenz
vom heutigen Tage).
Sie widerspricht den von mir erwähnten Langzeitstudien
bei Jugendlichen ( warum sollte das bei älteren Menschen anders sein?)
Und der anerkannten zellbildungsunterdrückenden
Wirkung von THC.
"Wer heilt, hat Recht". Ich will nicht in eine wissenschafts-
theoretische Diskussion dieses Satzes einsteigen.
Den man zudem für Arzneimittel zu Recht grundsätzlich nicht gelten läß.
Er erinnert mich aber immer wieder an den " pawlowschen Hund".
Der völlig selbstverständlich in unsren Sprach- und argumentationsschatz
übernommen ist.
Nur ist er längst widerlegt und - wie Heinz von Foerster immer belustigt anmerkt -
das ist nicht mit einem Nobelpreis bedacht worden.
Abby_Thur
Gast
Will hier jemand seine Eltern für sein persönliches Scheitern verantwortlich machen? Arm.
vic
Gast
Ich habe lange gekifft. Irgendwann hat sich`s nicht mehr ergeben und Schluss war.
Das Rauchen aufhören nach mehr als 25 Jahren war schon schwieriger; ging aber auch.
Fazit: Eine Therapie für THC Entzug halte ich für Blödsinn.
Aber wer weiß, kann mich täuschen.
Ich kenne viele, die das mit Zigarettentabak nicht schaffen. Das ist mir auch ein Rätsel.
vic
Gast
Tja, Keks. Dann weit du jetzt woran das lag.
Doch Kopf hoch- es ist nie zu spät.
Viel Glück!
Hanswurst
Gast
Ich kann mich nur anschließen:
Therapie fürs Kiffen... lächerlich.
Auch sonst eine eher langweilige, da geradezu normale Alltagsgeschichte. Wer hatte denn bitteschön schon ein ganz tolle Kindheit bzw. Pupertät oder Jugendzeit?
Naja...
tez
Gast
Denke jeder der Kiffer kennt kennt auch einen oder vier aktuelle oder Ex-Problemkiffer, wie jeder der Alkoholkonsumenten kennt auch Problemtrinker kennt usw usf. Es gibt keine Droge, die selbstverständlicher Teil des Alltags sein sollte, und ich finde überhaupt nichts Spießiges daran, bei seinen Kindern ein Problembewußtsein für die Gefahren des Konsums auch sogenannter weicher Rauschmittel zu schaffen, genausowenig wie es "spießig" ist, seinen Teenager nicht dauerbreit, auf was auch immer, sehen zu wollen. Pro Mäßigung und pro Selbstdisziplin!
Ceterum censeo sollte Cannabis aber selbstverständlich legal und ab 18 frei erhältlich sein, das soll jetzt ausdrücklich nicht als Argument pro Prohibition verstanden werden.
jannis
Gast
Mir kommen die Tränen Prinzesschen.
uff-tata
Gast
"dass nur Nazis und andere dumme Menschen Chemozeug nehmen. Dieses Credo hält sich bis heute."
Au backe. Ich würde hier mal im Umkehrschluss behaupten, solch einen Unsinn kann man wohl nur als unbedarfte Pseudo-Öko-Tante und ahnungslose Esoterik-Spießerin von sich geben. "Chemozeug" wird -wie jede Droge- quer quer durch alle Schichten und Milieus konsumiert. Häufig gar in Künstlerkreisen, Schwulenszene, im Milieu des Nachtlebens und sonstigen "alternativen" und an Selbstbestimmung interessierten Kreisen.
Alles weitere an diesem "Credo" hat mein Vorredner MeinName gut analysiert:
"Hier geht es nicht einfach um (Rausch-)Präferenzen, sondern um eine grundsätzliche Überlegenheit der eigenen Persönlichkeit, die sich selbst im Drogenkonsum manifestiert. Was für ein peinliches Distinktionsgehabe, das viel über die zutiefst deutsche Gedankenwelt der Verfasserin verrät."
Ansonsten geht der Artikel im Großen und Ganzen übrigens klar, ohne sonderlich Erkenntnis bereichernd zu sein.
klol
Gast
buuuuhuuuu
Therapie um mit dem Kiffen aufzuhören? Da hatte wohl jemand gar keine Willensstärke.
Alekto
Gast
Endlich mal eine _realistische_ Negativ-Story. Danke! Und - Respekt!
Olle Icke
Gast
Für einen erwachsenen Menschen ist Gras eine Bereicherung, Alkohol eine extrem, stumpfe Betäubung.
Für einen heranwachsenden Menschen ist beides eine Beschneidung.
FSK Gras=21
blah
Gast
die Überschrift halte ich für irreführen, suggeriert sie doch einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Drogensucht und "liberalen Eltern".
grundsätzlich glaube ich aber ebenfalls, daß die Gefährlichkeit von Cannabis von vielen Menschen unterschätzt wird.
Helge
Gast
och, die kleine hanna tut mir aber leid... bzw jetzt gehts ja, die asthma-wg hat ihr zum glück aus ihrem großen problem rausgeholfen. vielleicht hat sie aber auch nie wirkliche probleme gehabt.
Felix
Gast
Ich bin meinen Eltern sehr dankbar. Sie haben durch konsequentes Vorleben dafür gesorgt, dass für mich ein rauch- alkohol- und drogenfreies Leben selbstverständlich wurde.
Meine Eltern waren Anfang der 70ger um die 20 Jahre alt und betrachteten die sogenannten "68ger" als asoziale Penner, Tagediebe, Gammler und verwarloste Bonzenkinder. Sie haben gegen den Trend der damaligen Zeit gelebt - und dafür bin ich meinen Eltern rückblickend sehr dankbar. Allerdings gab es praktisch keine Verbote, meine Eltern haben es einfach nur konsequent vorgelebt. In Diskussionen schaffte es mein Vater, mich davon zu überzeugen, dass es die geistig Schwachen sind, die das tun, was alle anderen tun. Wer wirklich stark ist bleibt Nichtraucher, auch wenn die ganze Klasse raucht und kifft. Wer mitmacht, nur weil es die anderen tun ist nichts weiter als ein dummer Mitläufer.
Bäumchen
Gast
Sehr schöner Artikel, danke :-)
Hubert
Gast
Bei der Lektüre dieses eindringlichen Berichtes sollte der Leser stets im Hinterkopf behalten: der Autorin wäre es mit Alkohol unter Umständen noch wesentlich schlechter ergangen. Man stelle sich vor, sie hätte – analog zum problematischen Überkonsum von Cannabis jeden Tag zehn Bier getrunken und am Ende eine Entgiftung in einer Entzugsklinik mitmachen müssen.
vic
Gast
Liebe Hanna Maier.
Ich bin ja kein Psychoanalytiker, aber jemand mit deinen Anlagen sollte wirklich die Finger von Dope lassen.
Aber das weißt du ja jetzt auch.
MeinName
Gast
"dass nur Nazis und andere dumme Menschen Chemozeug nehmen. Dieses Credo hält sich bis heute."
Tja, noch schlimmer als dogmatische Abstinenzler sind eben nur noch Kiffer/Trinker, die auf Konsumenten anderer Drogen herab sehen um sich selbst so unglaublich smarter/kultivierter zu fühlen. Dabei dürfte jedem halbwegs erwachsenen Menschen klar sein, dass es bei der Drogenproblematik grundsätzlich weniger auf die Substanz als auf den Umgang damit ankommt. Gerade Alkohol ist hier wohl das allerbeste Beispiel und auch Cannabiskonsum kann so wahnsinnig stumpfer sein als der bewusste Konsum der ach so primitiven Nazi-Proleten-Chemodrogen (was zählt da eigentlich alles zu? Auch LSD oder ist das wieder smart genug wegen Hippie-Historie unso?).
Aber klar, als Teil der studierten Mittelschicht diesen Landes muss man sich schon noch einbilden, selbst bei der Auswahl berauschender Substanzen mehr Klasse zu haben als die dummen Anderen (die man deshalb auch noch mit Nazis in einen Topf wirft). Hier geht es nicht einfach um (Rausch-)Präferenzen, sondern um eine grundsätzliche Überlegenheit der eigenen Persönlichkeit, die sich selbst im Drogenkonsum manifestiert. Was für ein peinliches Distinktionsgehabe, das viel über die zutiefst deutsche Gedankenwelt der Verfasserin verrät.
tageslicht@gmx.eu
Gast
Artikel gefällt, weiter so!
vorp
Gast
hätte man die geschichte stattdessen mit alkoholmissbrauch erzählt, dann hätte sie in den allermeisten fällen kein happy-end gehabt.
gähn
Gast
Ein niedliches Märchen, meinen Sie nicht das würde eher in den lila-pinke-hier-erzählt-die-Hanna.tumblr.com Blog passen würde als in eine seriöse Zeitung?
Keks
Gast
Ich habe nie gekifft und meine Jugend und auch mein späteres Leben ist mehr als traurig verlaufen.
Theloneous Honk
Gast
also ich letztes jahr meiner 24 jaehrigen tochter einen spliff auf einer party anbot war ich angenehm ueberrascht das sie den nur ablehnen wollte weil sie darin tabak vermutete. als ihr dann klar wurde das dies nicht der fall war, rauchte sie fleissig mit und ich war froh darueber das sie zigaretten nicht anruehrt.
harzer
Gast
meine eltern waren nicht liberal, trotzdem entspricht dieser text im großen und ganzen so ungefaehr dem, was ich während meiner studienzeit gemacht habe. schöner artikel, auch wenn er manch unangenehme erfahrung wieder aufleben lässt. von engelstrompete habe ich mich dabei aber immer ferngehalten!
Alex
Gast
Hätten Sie im gleichen Ausmaß Alkohol getrunken, wären Sie jetzt wohl tot.
Karl K
Gast
Dank des Berlin/Bonn-Austausches hatte ich
Mal von Amts wegen ûber die Legalisierung
von Gras als Arzneimittel -insbesondere als
Schmerzmittel der besonderen Art zu befinden.
Im Zuge der Ermittlungen tauchten zwei Langzeitstudien
( Niederland und Australien?)ûber Kiffen bei Jugendluchen auf , die meine bis dahin lockere Einstellung zum Kiffen nachhaltig umgekrempelt haben.
Sie kommen nämlich übereinstimmend zu dem Ergebnis,
dass Kiffen in der Pubertät den bekannten Umbau des Gehirns
nachhaltig und unumkehrbar negativ in der Weise beeinflußt, das
der Umbau verlangsamt und die Synapsenbildung reduziert wird.
Wahrend ich also bei meiner älteren Kindergeneration noch
gegenüber den Kids nachsichtig und der Mutter cool war, sehe
ich das heute andersrum : nach der Pubertät wie weiland die alten Bauern
mal nen "Knaster" rauchen - ok , Vorher aber besser nicht..