Selbstanzündungen in China: Protest oder Kalkül?
Der Exilabt der Tibeter macht Peking für die Selbstverbrennungen von Mönchen und Nonnen verantwortlich. Doch Chinas Führung sieht darin nur hinterhältige Proteste.
PEKING/BERLIN taz | Ein hochrangiger tibetischer Mönch fordert Chinas Regierung auf, ihre harsche Politik gegenüber Tibet zu mildern, damit die Selbstverbrennungen enden. 13 Mönche, Nonnen und ehemalige Mönche haben sich seit März in Westchina und Tibet mit Benzin übergossen und angezündet. Die Situation der Tibeter sei "verzweifelt", erklärte der im indischen Exil lebende Abt Kyabje Kirti Rimpoche per Internetbotschaft.
Ganz Tibet stehe unter einer Art "Militärrecht". Besonders repressiv sei die Lage im Kloster Kirti in der Provinz Sichuan, die an Tibet grenzt. Das Kloster mit mehr als tausend Mönchen gehört zu den größten Zentren des tibetischen Buddhismus.
Wie viele Mönche derzeit noch im Kloster Kirti lebten, sei unklar, erklärte der Geistliche. Seit dem Frühjahr seien 300 bis 800 lokale Funktionäre in das Kloster gezogen. Sie hätten die Mönche in 55 Gruppen unterteilt, um sie zu kontrollieren und "kontinuierlich" an sogenannten "patriotischen Schulungen" teilnehmen zu lassen. Im Frühjahr seien dort Hunderte Mönche verschleppt worden. Einige seien schwer gefoltert worden.
Die Selbstanzündungen begannen am 16. März, als der 20-jährige Mönch Phuntsog diese Form des Protests gegen die Regierungspolitik wählte. Razzien in den Wohnquartieren seien alltäglich. Das Kloster sei voll mit Überwachungskameras und Abhörgeräten.
Bei den Schulungen würde "immer wieder mit der Zerstörung des Klosters gedroht", falls die Mönche ihre kritische Haltung zur Regierung nicht aufgäben, so Kyabje Kirti Rimpoche. Der 70-Jährige ist Abt aller zur Kirti-Gemeinschaft zählenden tibetischen Klöster. Mit dem Dalai Lama war er 1959 nach Indien geflohen, doch hat er seine Heimat in den 80er Jahren besuchen können.
Lebensbedingungen seien nicht Ursache
Chinas Regierung weist die Vorwürfe zurück. Der für Tibet zuständige Vizeminister beim ZK der KP Chinas, Zhu Weiqun, machte bei einem Besuch in Berlin den Abt Kyabje Kirti Rimpoche für die Selbstverbrennungen verantwortlich. "Er hat die Aktionen geplant", sagte Zhu vor Journalisten. Die Lebensbedingungen der Tibeter in Sichuan seien nicht die Ursache der Suizide. Nur in vier von 3.052 tibetischen Klöstern hätten sich Mönche oder Nonnen angezündet. "Davon allein sechs in Kirti".
Nach dem ersten Fall hätten drei Helfer ein Geständnis abgelegt, begründete der Funktionär die Verurteilung mehrerer Mönche zu hohen Haftstrafen wegen Beihilfe zur Selbstverbrennung. Zhu machte dafür Einflüsse der exiltibetischen Gemeinde im indischen Dharamsala verantwortlich: "Der Dalai Lama hat gesagt, die Opfer hätten große Mut gezeigt. Das zeigt, dass er die Selbstverbrennungen ermutigt hat", sagt Zhu.
Der Abt hatte zuvor diese Vorwürfe zurückgewiesen und sich zugleich geweigert, die Selbstverbrennungen zu verurteilen: "In ihrer großen Verzweiflung haben die Mönche keine andere Wahl, als ihre Opposition gegen Chinas Herrschaft durch diese extreme Form des gewaltlosen Widerstands auszudrücken", erklärte Rampoche.
Zhu verwies auf Tibets Wirtschaftswachstum ("19 Jahre in Folge zweistellig") . Ohne das Alter des 76-Jährigen Dalai Lama zu erwähnen, sagt er: "Die Zeit ist auf unserer Seite." Am klarsten hatte sich der im Exil lebende Karmapa Lama gegen Selbstverbrennungen ausgesprochen. Er ist nach dem Dalai und dem Panchen Lama der dritthöchste Geistliche der Tibeter: Er forderte seine Landsleute auf, "ihr Leben zu bewahren und konstruktive Methoden zu finden, sich für Tibet einzusetzen".
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