Sprache der Trauer

LITERATUR Im schmalen Band „Aus der Zeit fallen“ fasst der israelische Schriftsteller David Grossman die Erfahrung des Todes seines Sohnes in Worte

Wie viel Distanz muss man, darf man wahren? Wo beginne ich, wo endet der andere? In die Berge flüchtet Ora, flieht vor der Nachricht, die sie so sehr fürchtet: dass ihr Sohn Ofer als israelischer Soldat gefallen ist. Die tief berührende Geschichte einer Mutter, die versucht, ihrer Angst zu entkommen, indem sie sich mit all ihren Erinnerungen gegen die drohende Wirklichkeit stemmt, hat David Grossman vor fünf Jahren in seinem viel gelobten Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ erzählt. Und zugleich ein vielstimmiges literarisches Porträt einer von Angst und Ohnmacht, Trauer und Leid zerrissenen Region gezeichnet.

Vor der Nachricht vom Tod des eigenen Sohnes konnte Grossman nicht fliehen: Kurz bevor er den Roman vollendet hatte, starb Uri Grossman 2006 während eines Militäreinsatzes im Westjordanland. Lange hat Grossman gebraucht, um den Verlust des Kindes in Worte zu fassen. Zwei Jahre hat er daran gearbeitet, die Topografie jenes „Landes der Verdammnis“ zu beschreiben, in dem sich der Mensch nach einem solchen Verlust wiederfindet. „Aus der Zeit fallen“ (Hanser, 128 S., 16,90 Euro) heißt der schmale Band, der nun in einer Übersetzung von Anne Birkenhauer auf Deutsch erschienen ist: Aus der Zeit gefallen ist der Text selbst, angesiedelt jenseits bekannter Koordinaten, schwer einem bekannten Genre zuzuordnen. „Erzählung für Stimmen“, lautet der Untertitel der hebräischen Ausgabe. Immer wieder erinnert der Text mit seinen Chören und Figuren wie dem Zentauren und jenem „Gehenden Mann“, der auf der Suche nach dem „dort“ sein Haus verlässt und immer weitere Kreise darum zieht, an griechische Tragödien, mit seiner gebrochenen Rhythmik an Klagelieder: „Er ist tot, doch sein Tod, / sein Tod / ist nicht tot.“ Am Mittwoch stellt Grossman seinen beeindruckenden Versuch vor, Worte zu finden, wenn die Sprache unwiderruflich zerbrochen ist.  MATT

■ Mi, 6. 3., 19.30 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio, Oberstraße 120