Das „Woyzeck“-Musical

PREMIERE Das Theater Bremen bringt Georg Büchners „Woyzeck“ mit der Musik von Tom Waits auf die Bühne. Doch der Inhalt kommt bei dieser Nummernrevue etwas zu kurz

„Misery ist the river of the world“, heißt es bei Tom Waits. Das Drama, es muss halt melodisch sein

VON JAN ZIER

Jetzt also Büchners „Woyzeck“. Als Musical. Dabei haben sie in Bremen die letzten Jahre ja keine so richtig guten Erfahrungen mit Musicals gemacht. Weil: So richtig gut hat es meist doch nicht funktioniert. Aber am Theater Bremen versuchen sie’s jetzt noch mal. Mit der Musik, die Tom Waits und seine Frau Kathleen Brennan mal zu dem Drama schrieben. Also doch kein ganz so gewagtes Experiment – es sind ja im Grunde genommen zwei Klassiker, die da zusammenkommen. Kann das schief gehen? Hmm. Das Ergebnis, es bleibt zumindest halbgar.

Das liegt natürlich nicht an der Story, die – wie Waits richtig sagt – alles hat, was eine gute Geschichte ausmacht: Liebe, Mord, Wahnsinn, Obsession. Und auch nicht an seiner Musik.

Eher schon daran, dass die drei Musiker Andy Einhorn, Rudolf Schmücker und Stefan Ulrich sie live, brav und ordentlich spielen, und sicherlich auch so, wie die Noten ihnen aufgeschrieben waren. Aber eben das ist halt auch Teil des Problems. Es fehlt ihnen etwas an der Vitalität, der Emotionalität, die Waits’ Musik ausmacht. Zu sehr beschränken sich die Instrumentalisten darauf, nicht nur optisch im Hintergrund zu bleiben.

Und die Texte, der Gesang? Well, verstehen kann sie natürlich ohnedies nur jener, der eines ordentlichen Englisch mächtig ist. Wer das nicht mitbringt, dürfte wenig von dem Abend haben, zumal dann, wenn man möglicherweise auch die Geschichte nicht recht kennt – wiewohl sie vielgespielt ist und einst bestimmt auch Gegenstand des Deutschunterrichts war. Doch aus den Handlungsfetzen, die hier die Songs verbinden, erschließt sich der Inhalt von Büchners Dramenfragment nur ansatzweise und in groben Zügen.

Leider ist nicht an jedem guten Schauspieler auch ein guter Sänger verlorengegangen. Der eine oder andere nuschelt bei der Premiere etwas, und das Vertrauen der Regie in die Stimmen reicht auch offenbar nicht so weit, dass man auf störende Headsets verzichten mag. Wer glaubt, die Stimmen allein könnten das Große Haus nicht füllen, für den wäre das Kleine Haus vielleicht die bessere Wahl gewesen. Andererseits: Simon Zigah, der sonst stets im Moks spielte, hier aber den Woyzeck gibt, und Annemarie Bakker, die seine Frau Marie spielt, machen ihre Sache beide auch als SängerInnen gut.

In der Geschichte geht es um einen einfachen Soldaten (der hier allerdings nicht als Militär auftritt), der seine Frau und das gemeinsame (uneheliche) Kind irgendwie durchzubringen versucht. Und sei es mit Hilfe von dubiosen Nebenjobs. So liefert er, der sonst nur ein Laufbursche seines Vorgesetzten ist, sich einem ebenso skrupellosen wie wahnsinnigen Mediziner aus. Dieser setzt ihn unter Vorspiegelung von Wissenschaft auf Erbsendiät, demütigt ihn aber auch psychisch – eine Rolle, die von Guido Gallmann gut ausgefüllt wird. Marie wiederum ist Woyzeck untreu, und als der sie mit dem Major beim Tanz sieht, verliert der instabile Woyzeck vollends den Verstand. Am Ende wird er, der ewig Getretene, Gedemütigte, der allzu Eifersüchtige, der psychisch Kranke seine Marie erstechen und damit zugleich seiner eigenen Existenz ein Ende setzen.

Es ist der „Niedergang einer gehetzten Seele“, wie Regisseur Klaus Schumacher sagt, die Geschichte eines Mannes, der „seinen eigenen Albtraum“ erlebt, an den Ansprüchen scheitert, die die Gesellschaft an ihn, den prekär Beschäftigten, stellt. Doch dieses zeitlos Aktuelle, ungemein Politische an Georg Büchners wütendem, auf einer wahren Begebenheit basierendem Drama, seiner Klage über den Zerfall der Menschlichkeit – es verliert sich an diesem Abend. Trotz aller optisch-akustischen Effekte, trotz des minimalistisch-monumentalen Bühnenbilds. Weil Woyzeck hier eben nur ein Musical ist, das nie wirklich davon loskommt, eine melodiöse Nummernrevue zu sein.

Wieder am 2. und 8. März, 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz